Auszüge aus veröffentlichter Primärliteratur zu Gesellschaft, Wissenschaft und Technik in der DDR und Bundesrepublik Deutschland. Diese Zitate sollen die Diskussion der Heftbesprechungen im Digedags-Forum unterstützen. Der Text wurde digitalen Medien (CD-ROM) entnommen. Flüchtigkeits- und Übertragungsfehler bitte ich unkommentiert zu entschuldigen. Hier geht es zur Hauptseite: www.mosafilm.de


Zitat aus: "Digitalen Bibliothek Nr. 78, Archiv der Gegenwart, Deutschland 1949 bis 1999, © Siegler Verlag GmbH, Sankt Augustin, 2000


26.06.1959: Deutschland (Ost-) (West-)

Ostberliner Pressekonferenz über den »Agentensumpf Westberlin«, Ergebnisse der Befragung des geflüchteten Hauptmannes Max Heim vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR über die Spionage in der Bundesrepublik

Laut Neues Deutschland vom 3. Juni fand in Berlin (Ost) eine internationale Pressekonferenz des Presseamtes beim Ministerpräsidenten der DDR statt, auf der vier angebliche ehemalige hauptberufliche Mitarbeiter bundesrepublikanischer, amerikanischer, englischer und französischer Geheimdienste nach ihrer Flucht in die DDR Angaben über die sogenannte Agenten- und Diversionstätigkeit Westberlins unter dem Besatzungs- und Frontstadtregime berichteten.

Der als Gehlen-Agent vorgestellte Ernst Schwarzwäller erklärte u.a., die Tätigkeit des Gehlen-Dienstes habe sich vor allem gegen solche Persönlichkeiten gerichtet, die der Politik der Bundesregierung, insbesondere der atomaren Aufrüstung ablehnend gegenüberstünden, wie etwa Martin Niemöller, Clara Maria Faßbinder. Dr. Dr. Gustav Heinemann und Helene Wessel. Der als Agent des US-Geheimdienstes vorgestellte Erwin Zeske erklärte u.a., daß der US-Geheimdienst vom Westberliner Senat besonders unterstützt werde, Schwerpunkte für die Agentenwerbung seien die Westberliner Flüchtlingslager. Die alliierten Truppentransporte nach Berlin seien das vorzügliche Beförderungsmittel für Agenten gewesen. Der als ehemaliger Agent des britischen Geheimdienstes vom Berliner Intelligence Staff vorgestellte Willy Scheibe erklärte, der britische Geheimdienst habe vor allem Gespräche der Redaktionen und Korrespondenten westberliner und westdeutscher Zeitungen, aber auch ausländischer Nachrichtenagenturen überwacht, und ferner Leitungen von Senatsdienststellen und leitenden Senatsangestellten. Der als Mitarbeiter des französischen Geheimdienstes vorgestellte Hellmann erklärte u.a., die französische Sureté sei vor allem an der kirchlichen Arbeit interessiert und beschäftige sich intensiv mit den Verbindungen der Kirchen zu den Bruderinstituten in der DDR.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz veröffentlichte laut Bulletin vom 6. Juni einen Bericht über erste Ergebnisse der Befragung des am 16. Mai mit seiner Familie in die Bundesrepublik geflüchteten Hauptmanns und Referatsleiters im Ministerium für Staatssicherheit der DDR Max Heim.
In dem Bericht wird u.a. ausgeführt, daß Heim bei seiner Befragung Originaldokumente, Aktenauszüge und Agentenlisten aus seiner Arbeit als Referatsleiter bei der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR vorgelegt habe. Dies habe zur Festnahme zahlreicher Agenten geführt. Heim sei von Ende 1953 bis in die letzte Zeit für die politische Spionage gegen die CDU/CSU zuständig gewesen. Heim habe den Umgliederungsplan der Hauptverwaltung Aufklärung, der am 1. Januar in Kraft getreten sei, bekanntgegeben. Die Neugliederung wird im Bericht angeführt. Heim berichtete, daß der Minister für Staatssicherheit der DDR die Zahl der geheimen Mitarbeiter für den Einsatz in der Bundesrepublik, die der Hauptverwaltung Aufklärung zur Verfügung stünden, mit mehr als 10.000 bekanntgegeben habe. Die im Bundesgebiet ansässigen und dauernd tätigen Agenten würden auf 2000 bis 3000 geschätzt. Heim gab auch bekannt, daß ein Einbau getarnter Spionagefilialen des Staatssicherheitsdienstes in Parteien und Organisationen der DDR erfolge. Heim berichtete auch über die Arbeitsgrundsätze, die für die nachrichtendienstliche Zersetzung politischer Institutionen der Bundesrepublik bei der Hauptverwaltung Aufklärung festgelegt worden seien. Die Aufklärungsschwerpunkte des Staatssicherheitsdienstes der DDR seien gegen die CDU angesetzt. Es würden auch Maßnahmen zur Eindämmung der »Republikflucht« getroffen. Der sowjetische Beraterstab bei der Hauptverwaltung Aufklärung bestehe aus einem Chefberater im Generalsrang und vier Obersten die im Dienstgebäude der Hauptverwaltung untergebracht seien.
Das Verfassungsschutzamt gab abschließend bekannt daß seit der Flucht von Heim in die Bundesrepublik sich 38 Personen beim Verfassungsschutz freiwillig gemeldet und offenbart hätten, vom Staatssicherheitsdienst zur Arbeit gegen die Bundesrepublik verpflichtet worden zu sein.