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So manch kuriose Erfindung haben uns die Digedags vorgeführt oder selbst ausgebrütet. Heft 33, Geheimsache Digedanium, führt uns in ein neonisches Patentamt, in welchem allerlei skurrile Typen mit ihren Erfindungen warten. Dieser Beitrag erzählt interessante Geschichten von patentierten Erfindungen und dem Schicksal ihrer Schöpfer.
Zitat aus: Geniale und kuriose Erfindungen, Bibliothek erstaunlicher Fakten und Phänomene, Verlag Naumann & Göbel, S. 19-20


Das Patentamt

Patent(amt)geschichte(n): Charles Goodyear - Ein Leben für Gummi -

Die Vorstellung, daß Erfinder besessene Menschen sind, die Familienleben und Freundeskreis einer vagen Idee opfern, ist unter anderem auf Forschernaturen wie Charles Goodyear zurückzuführen. Wenn er die bedeutendste Entdeckung seiner Laufbahn auch einem Zufall verdankte, waren diesem großen Augenblick fünf Jahre in Armut vorangegangen, ständig von einem Material umgeben, das ihn nicht losließ - Gummi. Er lebte damit, er atmete es, er träumte davon, und ertrug es am Körper.
Charles Goodyear (1800-1860)
Charles Goodyear
(1800-1860
)
An drückende Schulden war Goodyear gewöhnt. Wie sein Vater, ein Metallwarenhändler in Connecticut, der sich ebenfalls mit Erfindungen beschäftigte, war Charles ein miserabler Geschäftsmann. Mit 26 Jahren eröffnete er 1826 in Philadelphia einen Laden, der nur kurz florierte und vermutlich wegen Mißwirtschaft bankrott ging. Goodyear wurde Hufschmied, schaffte es aber nicht, aus seinen Schulden herauszukommen. 1829 mußte er die erste von mehreren Strafen im Schuldgefängnis verbüßen.
Goodyears Obsession mit elastischem Gummi, aus dem Saft des Kautschukbaums gewonnen, begann 1834, als er an dem Ventil einer gummierten Schwimmweste bastelte und auf die ungewöhnlichen Eigenschaften des Stoffes aufmerksam wurde.
Rohkautschuk hat nicht die elastische Festigkeit des heute handelsüblichen Gummis. Der milchige Saft gerinnt gleich nach dem Abzapfen aus dem Baum zu einem festen Stoff, der zu Goodyears Zeiten mit Lösungsmitteln wie Terpentin gelöst wurde. Der dabei entstehende Stoff wurde bei Erwärmung weich, bei Kälte brüchig und zersetzte sich durch Einwirkung von Luft und Licht. Frühe Pioniere hatten Methoden entwickelt, die klebrige Substanz zwischen Gewebeschichten aufzubringen und daraus primitive wasserdichte Kleidung zu fertigen. Doch Versuche, aus Kautschuk beispielsweise Stiefel zu formen, waren stets fehlgeschlagen.
Der 34jährige Erfinder war von dem eigenartigen Material fasziniert. Er war überzeugt davon, daß sich ein Vermögen machen ließe, wenn es gelänge, Kautschuk von gleichbleibender Beschaffenheit zu produzieren.
Und so begann er, die Substanz zu kochen, mit Dampf zu behandeln und mit anderen Stoffen zu mischen. Goodyear fand auch Gefallen daran, in Kleidung und Schuhen aus Gummi durch die Straßen New Yorks zu spazieren.
Für seine Familie bedeutete Goodyears Leidenschaft, daß sie häufig kaum genug zu essen hatten und Teil ihrer Habe verpfänden oder verkaufen mußten. 1839 schien Goodyears Situation fast aussichtslos. Nach Woburn, Massachusetts, umgesiedelt, hatte er sich mit dem Eigner einer bankrotten Kautschukfabrik zusammengetan und jagte, von einem Geschäftsmann unterstützt, dem Traum vom großen Durchbruch nach. Mit jedem neuen Mißerfolg verschlechterte sich seine finanzielle Lage.
An einem Tag des Jahres 1839 ließ Goodyear beim Erhitzen von Kautschuk, Schwefel und Bleiweiß versehentlich etwas von der Mischung auf den Herd tröpfeln; die Substanz verkohlte, schmolz aber nicht. Wie durch ein Wunder sah er sich unversehens am Ziel seiner Suche: Der übriggebliebene Kautschuk wies die elastische Festigkeit auf, nach der er solange geforscht hatte. Dennoch brauchte Goodyear noch weitere fünf Jahre, bis er sein Verfahren für ausgereift hielt und es zum Patent anmeldete. Seine Familie litt weiter. Sein kleiner Sohn, möglicherweise durch Mangelernährung geschwächt, erkrankte und starb. Selbst als der Erfolg in greifbare Nähe gerückt war, blieben Goodyear gelegentliche Aufenthalte im Gefängnis nicht erspart.
Konkurrenten machten sich immer wieder seine Erfindung unrechtmäßig zunutze. Der britische Fabrikant Thomas Hancock, der jahrelang ähnliche Versuche wie Goodyear durchgeführt hatte, verschaffte sich Proben von Goodyears Kautschuk, analysierte sie und gab dem Verfahren seinen bis heute gültigen Namen: Vulkanisation.
Goodyear steckte seine steigenden Einkünfte aus seiner Erfindung in neue Experimente und in die Produktion von Zelten, Gummischrubbern und Förderbändern. 1851 schuf er für die Weltausstellung in London den Vulcanite Court, einen mit Gummiplanen abgedeckten Raum, in dem Gegenstände aus Gummi ausgestellt waren. Man verlieh ihm zwar eine Medaille, doch an seiner finanziellen Situation änderte sich nichts. Seine 1855 auf der Pariser Weltausstellung erhaltenen Auszeichnungen wurden Goodyear in das Schuldgefängnis von Paris überbracht. Später stattete Napoleon III. dem Erfinder in einem Hotel einen Besuch ab, um ihm seine Anerkennung auszusprechen.
Das Geheimnis des von Goodyear entwickelten Verfahrens zur Gummiherstellung war eine beliebte Beute von Patentdieben, und er mußte vor Gericht schwer um den Schutz seiner Rechte kämpfen..
Klick & Zoom: Das Geschäft mit dem Gummi - es machten andere.
Das Geschäft mit dem Gummi - es wurde von anderen gemacht.
Als Goodyear 1860 vermutlich an einer Bleivergiftung starb, hinterließ er mehrere hunderttausend Dollar an Schulden. Trotz der Weigerung der Regierung, sein Patent im Namen seiner Erben zu erneuern, konnten seine Söhne der Familie doch noch zu Reichtum verhelfen.

Bemerkung [Uhrviech]:
  • Eine Zeitung schrieb über Goodyear: "Wenn ihr einen Mann seht, in Schuhen, mit Mantel und Hut aus Kautschuk, aber ohne einen Cent in der Tasche, dann habt ihr Charles Goodyear vor euch."
  • 38 Jahre nach dem Tod Charles Goodyears gründeten zwei deutsche Einwanderer eine Firma mit dem Namen Goodyear Tire & Rubber Company, um Reifen herzustellen. Der Name wurde ihm zum Gedenken gewählt.
Weitere Internet-Links zum Thema: siehe hier!