Auszüge aus veröffentlichter Primärliteratur zu Gesellschaft, Wissenschaft und Technik in der DDR. Diese Zitate sollen die Diskussion der Heftbesprechungen im Digedags-Forum unterstützen. Der Text wurde Printmedien entnommen, Flüchtigkeits- und Übertragungsfehler bitte ich unkommentiert zu entschuldigen. Hier geht es zur Hauptseite: www.mosafilm.de


Zitat aus: Karl Böhm / Rolf Dörge "Gigant Atom", Verlag Neues Leben, 3. verbesserte Ausgabe 1958, S. 146-155

Klick auf die Vorschaubilder für ZOOM !


Die Nutzbarmachung der Energie
Energie aus Wasserstoff

Sensation in Harwell
Als Sir Edwin Plowden, Präsident des Britischen Amtes für Atomenergie, und Sir John Cockroft, Direktor des Britischen Atomforschungszentrums, die sowjetischen Staatsmänner Bulganin und Chrustschow als ihre Gäste in Harwell empfingen, schien das Ganze zunächst nichts anderes als einer der üblichen Besuche interessierter hoher Gäste zu sein. Einige Stunden später aber wußten die dreihundert an diesem Empfang beteiligten Atomwissenschaftler, daß sie diesen Sonnabendvormittag nicht so schnell vergessen würden. Dank des rasenden Arbeitstempos moderner Nachrichtenagenturen konnte Reuter Minuten später eine Sensation in die Welt funken. Und einige Stunden später berichteten bereits die ersten Zeitungen über die aufsehenerregenden Ausführungen, die der sowjetische Professor Kurtschatow vor dem Auditorium englischer Wissenschaftler im Vorlesungssaal von Harwell gemacht hatte.
Eine Rechnung, die nicht stimmt
Nach Adam Riese ist zwei und zwei gleich vier.
Aber im Bereich der Atomphysik muß man stets auf Überraschungen gefaßt sein.
Ein Heliumkern besteht aus zwei Protonen und zwei Neutronen. Also müßte er genausoschwer sein wie seine Bausteine zusammengenommen. Stellt man aber das Gewicht eines Heliumkernes fest, so merkt man, daß er weniger wiegt als die Summe der Gewichte seiner Bestandteile! Wenn man den Unterschied genau ausrechnet, so erhält man eine Differenz von 0,75 Prozent. Man nennt diese Differenz den „Massendefekt".
Wenn man die Teile des Heliumkernes voneinander trennen wollte, so müßte man die Energie aufwenden, die dem Massendefekt (oder auch Massenverlust der bei der künstlichen Zusammensetzung des Heliumkernes aus seinen Bestandteilen entstehen muß) gleich ist. Man nennt folglich auch die Energie, die dem Massendefekt entspricht, die Bindungsenergie.
Wollte man aus einem Kilogramm Protonen und Neutronen ein Kilogramm Helium bilden, so würde das Gewicht des Heliums statt eines Kilogramm; 0,75 Prozent weniger betragen. Bei einem Kilogramm Ausgangssubstanz würde also ein Massendefekt von 7,5 Gramm entstehen. Nach der Einsteinschen Formel berechnet ergibt sich für 7,5 Gramm Masse ein Energieäquivalent von rund 200 Millionen Kilowattstunden!
Klick auf die Abbildung => ZOOM

Weltumwälzender Fortschritt der Sowjetwissenschaft

Bald auch Wasserstoffenergie für friedliche Zwecke nutzbar Sensationelle Mitteilung Professor Kurtschatows in England Temperaturen von 1 Million Grad erzeugt Den USA und Großbritannien weit voraus.

27.4.1956

London (ADN). Die Sowjetunion werde wahrscheinlich bald in der Lage sein, die bei der Fusion von schweren Wasserstoffatomen frei werdenden gewaltigen Energiemengen unter Kontrolle zu bringen und für friedliche Zwecke auszunutzen. Es sei sowjetischen Wissenschaftlern gelungen, in Experimenten die Bedingungen zu schaffen, unter denen sich eine Fusion vollzieht. Mit dieser Mitteilung überraschte, wie Reuter meldet, der sowjetische Atomwissenschaftler Professor Kurtschatow am Mittwochabend im britischen Atomforschungszentrum Harwell etwa 300 Experten Großbritanniens. Professor Kurtschatow gehört zu den Begleitern N. A. Bulganins und N. S. Chrustschows.
Wie Reuter unter Berufung auf einen wissenschaftlichen Korrespondenten mitteilt, habe Professor Kurtschatow in allen Einzelheiten und mit bemerkenswerter Offenheit über die Arbeit der sowjetischen Wissenschaft auf diesem Gebiet gesprochen. Große Überraschung hätten seine Worte ausgelöst, daß es sowjetischen Wissenschaftlern gelungen sei, Temperaturen von einer Million Grad zu erzeugen, indem sie mächtige elektrische Ströme durch gasgefüllte Röhren leiteten. Eine derartige Temperatur ist fast so hoch wie die Temperatur, die erforderlich ist, um die Fusion von schweren Wasserstoffatomen zustande zu bringen. Diese Reaktion konnte bisher nur durch die Explosion einer Wasserstoffbombe erzielt werden.
Mit der Erzeugung einer so hohen Temperatur stünde die Sowjetunion auf der Schwelle zur Ausnutzung der im Wasserstoffatom enthaltenen riesigen Energiemengen, erklärte der britische Korrespondent. Sie hätte damit den Schlüssel in der Hand, um unbegrenzte Energiemengen aus gewöhnlichem Wasser zu gewinnen.
Wie Reuter weiter meldet, hätten die britischen Experten erkennen müssen, daß die Sowjetunion im Wettlauf um die Ausnutzung der Wasserstoffenergie für industrielle Zwecke Großbritannien und wahrscheinlich auch den Vereinigten Staaten weit voraus sei. Professor Kurtschatow habe Einzelheiten bekanntgegeben, die in den westlichen Ländern völlig unbekannt waren. Der sowjetische Gelehrte habe alle Fragen ohne auszuweichen ausführlich beantwortet und den britischen Wissenschaftlern Fakten mitgeteilt, die sie nicht einmal ahnten. Die Mitteilungen Kurtschatows hätten die britischen Atomspezialisten in die Lage versetzt, Experimente zu wiederholen und ihre eigenen Versuche zu beschleunigen.

„Es ist alles in bester Ordnung"

antwortet N. S. Chrustschow

Energie der Sonne
Dank der modernen Atomphysik wissen wir heute, wie es möglich ist, daß die Sonne Jahrmilliarden hindurch unvermindert strahlt und unsere Erde erwärmt. Früher nahm man an, daß die Wärmestrahlung der Sonne aus Verbrennungsvorgängen stammen könnte. Würde diese Annahme stimmen, so wäre der Brennstoffvorrat der Sonne, selbst wenn er aus Anthrazit bestünde, längst erschöpft; er hätte allenfalls einige Jahrtausende ausgereicht. Also muß die Sonnenenergie andere Quellen haben.
Die Sonnen gewinnen die ungeheuren Energien, die sie ins Weltall ausstrahlen, aus dem Aufbau (der Synthese) von Heliumatomen aus Wasserstoffkernen (Protonen), die sich zusammenschließen (Fusion). Aus den unvorstellbaren Wasserstoffvorräten der Sonne wird seit Jahrmilliarden Helium aufgebaut - ein Vorgang, der in der Praxis allerdings viel komplizierter verläuft, als es hier im Interesse der Verständlichkeit dargestellt werden kann. Dabei wird pro Sekunde eine Energie von 10 000 Quintillionen (1034) Kilowattstunden ausgestrahlt. Es gibt Fixsterne, die vermutlich ein Vielfaches dieser Energie „erzeugen". Der Wasserstoffvorrat der Sonne reicht aus, um noch einige Dutzend Milliarden Jahre die Erde mit der notwendigen Wärme zu versorgen.
20 Millionen Grad
Seit 1938 arbeiten Physiker an Theorien, die zu einer Nachahmung dieser „himmlischen" Kernreaktion auf der Erde führen sollen. Die Hauptschwierigkeit solcher Reaktionen - man nennt sie thermonukleare Reaktionen, weil sie mit Kernteilchen (Nukleonen) bei außerordentlich hohen Temperaturen vor sich gehen - ist die Erzeugung jener Hitzegrade, die allein imstande sind, den Vorgang auszulösen. Diese Temperatur beträgt einige Millionen Grad Celsius. (Die Temperatur im Innern der Sonne beträgt immerhin 15 bis 20 Millionen Grad.) Will man also solche thermonuklearen Reaktionen im Laboratorium erreichen, muß man zunächst die dafür erforderlichen Temperaturen erzeugen können.
Warum sind aber derart hohe Temperaturen notwendig? Es gibt eigentlich zwei Gründe. Einmal kommt es darauf an, „nackte" Atomkerne zur Reaktion zu bringen. Nackte Atomkerne aber erhält man nur, wenn man die Elektronenhüllen entfernen kann. Die Elektronenhüllen wiederum lassen sich nicht so ohne weiteres entfernen. Erst wenn Atome sehr stark erhitzt werden, lösen sich die Kerne aus ihren Hüllen.
Diese nackten Kerne - in unserem Falle also Wasserstoffkerne - unter normalen Umständen zusammenzuschmieden, ist unmöglich, da sich gleichartig geladene Materieteilchen gegenseitig abstoßen. Wasserstoffkerne aber bestehen aus Protonen, und diese tragen eine positive elektrische Ladungseinheit. Die Abstoßungskräfte zwischen den Protonen können jedoch überwunden werden, wenn die Protonen mit einer sehr hohen Geschwindigkeit zusammenstoßen. So große Geschwindigkeiten aber kann ein Atom nur bei sehr hohen Temperaturen erreichen. Je höher die Temperatur ist, desto größer ist die Geschwindigkeit.
Bei normaler Zimmertemperatur bewegt sich ein Wasserstoffatom mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 2,2 Kilometer in der Sekunde. Bei der im Sonneninnern herrschenden Temperatur dagegen erreicht sein Kern eine Geschwindigkeit von 500 Kilometer in der Sekunde!
Das ist also der zweite Grund, der eine so hohe Temperatur erforderlich macht.
Bis zur ersten Atombombenexplosion gab es keine Möglichkeit, auf der Erde eine solche Temperatur zu erzeugen. Also konnte solange auch kein Nachweis für die Richtigkeit jener Theorien von der thermonuklearen Reaktion erbracht werden.
Es ist nicht weiter verwunderlich, daß es wiederum amerikanische Physiker waren, die auf Befehl der amerikanischen Regierung daran gingen, diese Theorien für den Bau einer neuen Bombe auszunutzen. Der erste Versuch, der beweisen sollte, daß künstlich erzeugte explosive Wasserstoffreaktionen möglich sind, war das Unternehmen "Greenhouse"
Unternehmen "Greenhouse"
Man konnte weder für das Unternehmen „Greenhouse" noch auch für andere Experimente und Anwendungen der Wasserstoffreaktionen den normalen Wasserstoff benutzen, weil sein Kern nur aus einem Proton besteht. Zum Aufbau von Helium werden aber außer Protonen auch Neutronen gebraucht. Also muß man sich eines Wasserstoffisotops bedienen. Wir erinnern uns: Isotope sind verschiedene Atomarten des gleichen Elements; sie besitzen alle die gleiche Protonenzahl (daher sind sie ja chemisch gleichwertig), aber verschiedene Neutronenzahlen. Der „normale" Wasserstoff besitzt nur ein Proton, der schwere Wasserstoff (Deuterium) neben diesem Proton ein Neutron, der überschwere Wasserstoff (Tritium) zwei Neutronen.
Den schweren Wasserstoff kann man durch Destillation oder durch Elektrolyse aus dem Meerwasser gewinnen, den überschweren Wasserstoff dagegen kann man nur künstlich im Atomreaktor produzieren.
Der Besitz von Deuterium und Tritium aber (ein Gramm Tritium kostete zu dieser Zeit immerhin die runde Summe von 12 Millionen Mark!) genügte noch nicht für das Unternehmen „Greenhouse". Man mußte das Gemisch aus den beiden Wasserstoffisotopen noch in einen Zustand bringen, in dem sich die einzelnen Atomkerne möglichst nahe sind. Im gasförmigen Deuterium und Tritium ist der Abstand zwischen den Kernen so groß, daß sie sich nicht verschmelzen können. Also muß man dieses Gemisch verflüssigen, da in diesem Zustand sowohl der Abstand zwischen den Kernen kleiner als auch die Bewegungsfreiheit der Kerne im Interesse der Verschmelzung eingeschränkt wird; Wasserstoff aber wird erst bei einer Temperatur von -253° flüssig.
Der Sprengkörper mußte mit dem flüssigen Wasserstoff bis zum Augenblick der Explosion so gekühlt werden, daß sein Wasserstoffgemisch flüssig blieb.
Als all diese Probleme gelöst waren, konnte man im Mai 1951 das Unternehmen „Greenhouse" starten. Schauplatz dieses Unternehmens war die inzwischen weltberühmt, oder besser, weltberüchtigt gewordene Inselgruppe Eniwetok, ein aus vielen kleinen Inseln und Sandbänken bestehender Archipel der Marshall-Inseln. Bereits seit 1948 war der gesamte Archipel in ein großes Experimentierfeld für Atombomben mit den dazugehörigen Laboratorien und Meßstationen verwandelt worden, abgesperrt und gesichert von Kriegsmarine, Luftwaffe und FBI (USA-Geheimdienst).
Die Explosion des ersten Versuchssprengkörpers übertraf alle Erwartungen. Die Hitzewelle der Explosion war noch in 30 Kilometer Entfernung zu spüren. Der Turm mit dem über 50 Tonnen schweren Sprengkörper war verdampft.
Damit war nachgewiesen, daß die Atombombe als Zünder funktionierte. Nach ihrer Explosion, die für die notwendige Temperatur sorgte, blieb genügend Zeit - eine allerdings winzige Zeitspanne -, um einer ausreichenden Menge an Deuterium und Tritium Gelegenheit zu geben, sich zu Helium zu verschmelzen, ehe das Ganze durch den Druck der Atombombenexplosion auseinandergerissen wurde.
Eine Insel verschwindet
Klick auf die Abbildung => ZOOM
Schema der Wasserstoffbombe
Auf diesen ersten Versuch folgte am 1. November 1952 die erste Wasserstoffbombenexplosion.
Sie stellte alles Grauen der ersten Atombombenexplosion auf dem Versuchsfeld von Alamogordo weit in den Schatten. Eine glühende Luftsäule von 14 Kilometer Durchmesser stand minutenlang über der Explosionsstelle. Nach zehn Minuten hatte der Rauchpilz eine Höhe von 40 Kilometer und eine Ausdehnung von 190 Kilometer erreicht.
An der Stelle, an der einmal eine Insel existiert hatte, fand man einen Krater von 60 Meter Tiefe und einem Durchmesser von 2 Kilometern, angefüllt mit Meerwasser. Die Explosion hatte das Sechsfache der errechneten Wirkung erzielt. Sie hatte eine Energie freigesetzt, die der Explosion von 3 Megatonnen (= 3 Millionen Tonnen) höchstexplosiblen Sprengstoffs (Trotyl) entspricht.
Bei einer weiteren Versuchsexplosion im März 1954 wurde eine Energiefreisetzung erreicht, die einer TNT Menge von 17 Megatonnen entspricht (TNT ist ein im zweiten Weltkrieg verwendeter Sprengstoff). Berechnet waren aber nur 3 Megatonnen. Die Wissenschaftler hatten offensichtlich die Kontrolle über ihre furchtbaren Experimente verloren. Das Prinzip der Wasserstoffbombe ist nicht schwer zu verstehen. Es besteht darin, daß eine genauberechnete Mischung der Ausgangsstoffe mit einer Atombombe als „Zünder" versehen wird, dessen Explosion im gegebenen Augenblick jene Temperaturen liefert, durch welche die Verschmelzung der Wasserstoffatome in Gang kommt.
Staatsgeheimnis
Klick auf die Abbildung => ZOOM

Seit der Ersten Internationalen Atomkonferenz (August 1955) jagen von Zeit zu Zeit Sensationsmeldungen über Fortschritte bei der Steuerung von Kernverschmelzungsprozessen durch die Weltpresse.
Dr. Bhabha, als Präsident dieser Konferenz, ermahnte in seiner Eröffnungsrede die Wissenschaftler aller Welt, ihre Entwicklungsarbeiten auf diesem Gebiet zu beschleunigen, „um für immer den Mangel an Elektrizität in der ganzen Welt zu beenden". Er prophezeite kontrollierte Energiegewinnung aus Kernverschmelzungsprozessen innerhalb der nächsten zwanzig Jahre.
„Dr. Bhabha, Atomdirektor von Indien und bekannter Physiker, schnitt damit ein Thema an", schrieb „The New York Herald Tribune", „das nicht auf dem Programm stand und das alle weiteren Sitzungen des Tages an Bedeutung überschattete."
Es gab kaum eine Zeitung der Welt, die sich solche journalistischen Leckerbissen entgehen ließ. Die „Frankfurter Allgemeine" schrieb am 19. B. 1955 unter großen Schlagzeilen:

Auch Wasserstoff-Energien für friedliche Zwecke
England kündigt eine revolutionäre Entwicklung an. Bändigung der thermonuklearen Reaktion. Der Vorsitzende der britischen Atomenergiebehörde, Sir John Cockroft, hat am Mittwoch vor der Presse in Genf bekanntgegeben, britische Forscher arbeiteten gegenwärtig daran, die der Explosion einer Wasserstoffbombe zugrunde liegende thermonukleare Reaktion unter Kontrolle zu bringen und damit für friedliche Zwecke nutzbar zu machen. In wissenschaftlichen Kreisen der Atomkonferenz besteht Übereinstimmung darüber, daß ein wesentlicher Fortschritt auf diesem Gebiet das bedeutendste Ereignis der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts wäre. Der britische Atomwissenschaftler Sir George Thomson prophezeite, daß die Versuche in etwa zwanzig Jahren zum Erfolg führen würden.
Verschiedene Agenturen berichten, daß man den bekannten Atomphysiker und Direktor des Britischen Atomforschungszentrums, Nobelpreisträger Sir John Cockroft, bestürmte, um von ihm Einzelheiten zu diesem Problem zu erfahren. Seine lakonische Antwort: „Wir erwarten natürlich Fortschritte, wenn wir an einem solchen Problem arbeiten."
Aus all den vielen sich häufig widersprechenden und nirgends konkret werdenden Meldungen und Notizen kann man aber zweifellos das festhalten, was die schon einmal zitierte „Frankfurter Allgemeine" im Feuilleton unter der Überschrift „Eine neue Epoche des Atomzeitalters" brachte:
Es ist nun zur Gewißheit geworden, daß es sich bereits um mehr handelt, als nur um eine wissenschaftliche korrekte Zukunftsprognose.
  • Weiter heißt es:

Es geht eine Periode von mehreren Wochen, ja Monaten voraus, in denen das Thema der „nicht explodierenden Wasserstoffbombenexplosion" mit hartnäckiger Häufigkeit die Runde macht. Und in diesen Zusammenhang müssen die Worte Bhabhas gestellt werden.
Es sei daran erinnert, daß im März dieses Jahres in einer Debatte im britischen Unterhaus der damalige Außenminister Eden auf eine Frage über die Versuche mit Wasserstoffbomben antwortete, daß „die Explosion nicht mehr der letzte Ausdruck dessen sei, was vor sich geht. Man kann die Möglichkeit von Versuchen nicht mehr ausschließen, die ohne Explosion vor sich gehen". Auch von russischer Seite wurden ähnliche Andeutungen gemacht, so Anfang Juli von M. G. Meschchijakow. Bereits seit einigen Wochen treten außerdem in den Vereinigten Staaten immer wieder Gerüchte auf, die davon sprechen, daß ein „thermonuklearer Reaktor" in nicht zu ferner Zukunft Wirklichkeit werden könnte. Ja, es haben sogar amerikanische Elektrizitätsgesellschaften ihre Besorgnis darüber geäußert, daß die „gewöhnlichen" Atomreaktoren, die sie jetzt planen oder zu bauen beginnen (und um deren Entwicklung sich auch die Genfer Konferenz zu einem wesentlichen Teil gedreht hat), schon durch eine derartige revolutionierende Umwälzung völlig veraltet sein könnten, wenn sie fertiggestellt sind.

Wie weit man in den einzelnen Staaten gekommen ist, hat natürlich keiner der Journalisten erfahren können. Es ist auch nicht anzunehmen, daß irgendwo in der Welt wesentliche Einzelheiten darüber bekannt werden, vermutlich selbst dann nicht, wenn der erste Kernverschmelzungsreaktor laufen sollte. Fest steht nur, daß zur Zeit der Genfer Atomkonferenz Fortschritte erzielt worden sein müssen, die außerordentlich groß waren.
Um so sensationeller mußte daher die Rede Professor Kurtschatows in Harwell wirken, in der er den britischen Atomexperten Einzelheiten über sowjetische Forschungsergebnisse mitteilte, die erneut bewiesen, wie groß der Vorsprung der Sowjetunion auf dem Gebiet der Atomforschung ist. Die Offenheit, mit der Kurtschatow Fakten „preisgab", die der Elite der englischen Wissenschaft bis dahin noch völlig unbekannt waren, läßt darauf schließen, daß die sowjetische Forschung in Wirklichkeit noch viel weiter sein muß.
Aber die letzten Geheimnisse werden auch dort geheim bleiben müssen, aus ähnlichen, aber triftigeren Gründen als in Los Almanos und in Harwell. Doch die Zeit, in der es keine Staatsgeheimnisse mehr geben wird, ist nicht mehr allzu fern. Wenn die Gegensätze zwischen den Nationen aufgehört haben zu bestehen, weil die, die sie künstlich schüren, nicht mehr an der Macht sind, kann es keine Gefahr mehr für die Völker geben. Leistungen menschlichen Geistes werden dann nicht mehr sorgfältig in Panzerschränken gehütet werden müssen, um den Vorsprung vor den anderen zu bewahren. Die Veröffentlichung wichtiger wissenschaftlicher Daten, die heute noch Staatsgeheimnis sein müssen, weil die gewissenlose Politik imperialistischer Staaten sie in den Dienst ihrer Weltherrschaftspläne stellen könnte, werden morgen vielleicht schon allgemein zugänglich und allen nützlich sein können, weil das Glück der sozialistischen Gesellschaft auf dem Wohlstand aller ihrer Glieder beruht.
Energie von übermorgen
Bei den Kernverschmelzungsprozessen braucht es sich nicht nur um Wasserstoffreaktionen zu handeln. Kernfusionen können auch zwischen Kernen anderer leichter Elemente erzielt werden. Der gewaltige Vorteil vor den Kernspaltungsprozessen liegt darin, daß sie mit Rohstoffen durchgeführt werden können, die im Unterschied zum Uran und Thorium in nahezu unbegrenztem Maße vorhanden sind. Wenn sich die Voraussagen der Wissenschaftler erfüllen und die kontrollierbare Kernfusion erreicht worden ist, hat die Menschheit eine Zukunft vor sich, in der es für unabsehbare Zeiten keine Brennstoff- und Energiesorgen mehr geben wird.
Eines der Kardinalprobleme ist die Erzeugung von genügend hohen Temperaturen, ohne eine Atombombenexplosion zu Hilfe nehmen zu müssen. Hier scheint die sowjetische Forschung bereits den Ausweg gefunden zu haben, denn Kurtschatow erklärte in seiner Rede, daß in sowjetischen Laboratorien künstlich Temperaturen erzeugt werden, die bei einer Million Grad Celsius liegen. Diese Temperaturen konnten natürlich nur für eine kurze Zeit erreicht werden. Die Schwierigkeiten bestehen unter anderem darin, daß bereits bei Temperaturen von einigen zehntausend Grad der Wärmeverlust, das heißt die Abgabe von Wärme an die Umgebung, größer wird als die weitere Wärmezufuhr. Bei jeder Erwärmung beschleunigt sich aber auch das Bewegungstempo der Atome und Moleküle. Wenn Deuterium zum Beispiel auf hunderttausend Grad Celsius erhitzt wird, steigt der Druck auf über eine Million Atmosphären !
Die sowjetischen Forscher haben eine Lösungsmöglichkeit darin gefunden, daß sie gasförmiges Deuterium benutzen. Dieses Gas kommt sehr stark verdünnt in eine Entladungsröhre, durch die ein Strom von mehreren hunderttausend Ampere geschickt wird. Durch die gewaltigen Entladungen, die dann in der Röhre stattfinden, wird das Gas so sehr erhitzt, daß es seine normale atomistische Struktur aufgibt; es verwandelt sich in Plasma.
Als Plasma bezeichnet man jenen Zustand der Atome, in dem bei großer Hitze die Elektronenhüllen oder Teile von ihnen von den Kernen gelöst werden und Ionen, Elektronen und „nackte" Kerne eine ungeordnete Masse bilden. Die Entladungen in der Röhre geben also dem Gas die Form des Plasmas. Für millionstel Sekunden wird das Gas zu einem dünnen Plasmafaden in der Röhre zusammengepreßt und durch ein Magnetfeld in dieser Gestalt festgehalten, damit die erhitzten Atome nicht ihre Wärme an die Wände der Röhre abgeben können. Bei solchen Versuchen wurde eine maximale Stromstärke von drei Millionen Ampere erreicht. Die Leistung, die dabei erreicht wurde, entsprach der zehnfachen des Kraftwerkes Kuibyschew.
Von solchen Leistungen, die nur für kurze Augenblicke möglich waren, bis zu einer Dauerleistung ist es aber ein weiter Weg.
Eine andere wichtige Voraussetzung, die vor dem Bau von Wasserstoffreaktoren gelöst werden muß, ist das Materialproblem. Welche Materialien halten Temperaturen von mehreren Millionen Grad Celsius aus? Von den zur Zeit bekannten Stoffen dürfte dafür keiner Verwendung finden können. Ungelöst ist weiter die Frage, wie sich Prozesse von so hoher Wärmeentfaltung durch Instrumente kontrollieren und regulieren lassen sollen.

Fachzeitschriften meldeten jedoch bereits Patentanmeldungen für thermonukleare Reaktoren.
... eines Tages, wenn es uns gelingt, im Kraftwerk Wasserstola in Helium umzuwandeln, wird die Menschheit derart viel Energie zur Verfügung haben, daß sich das Leben auf der Erde völlig verändern wird!"

Professor P. M. S. Blackett