Auszüge aus veröffentlichter Primärliteratur zu Gesellschaft, Wissenschaft und Technik. Diese Zitate sollen die Diskussion der Heftbesprechungen im Digedags-Forum unterstützen. Der Text wurde Printmedien entnommen, Flüchtigkeits- und Übertragungsfehler bitte ich unkommentiert zu entschuldigen. Hier geht es zur Hauptseite: www.mosafilm.de


Zitat aus: Albrecht Beckh, Zeitschrift "hobby" Das Magazin der Technik, EHAPA-Verlag GmbH Stuttgart, Artikel "Immer tiefer mit Piccard!", Heft 02/1954, S. 60-71

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Immer tiefer mit Piccard!

Die Weltöffentlichkeit wartet voller Spannung auf den neuen Tauchversuch, den Professor Piccard im Frühjahr 1954 im Atlantischen Ozean mit seinem umgebauten Bathyscaph unternehmen wird. Der greise Forscher hat sich in den Wintermonaten in die Stille eines Schweizer Bergdorfes zurückgezogen, um notwendige Umbauten an seinem Tauchschiff vorzubereiten. Es geht Piccard nicht um den Ruhm und nicht um Schlagzeilen in der Weltpresse, sondern darum, die unzähligen Rätsel, die die Tiefsee noch verborgen hält, zu lösen. Unser Mitarbeiter, der Ozeanograph und Tiefseeforscher Dr. Albrecht Beckh, hat Piccard bei vielen entscheidenden Stationen des Jahres 1953 begleitet. Sein Bericht schildert viele unbekannte Tatsachen der Tiefseeforschung und gibt zugleich eine Vorschau auf Piccards nächsten Tauchversuch.


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TRIESTE', so nannte Piccard sein Bathyscaph, mit dem er 3150 Meter Tiefe erreichte. Bild rechts zeigt den U-Bootähnlichen Schwimmkörper und die Tauchkugel.
Auf dem Gipfel des Monte Faito bei Neapel sah ich Professor Auguste Piccard zum ersten Male. Hier, in seinem windumbrausten Arbeitszimmer, durch dessen Fenster man auf den Vesuv hinabblickt, schmiedete er seine Pläne zur Erforschung der Tiefsee.
Einige Monate später sehe ich Piccard auf der kleinen Insel Ponza im Tyrrhenischen Meer wieder: er hat den größten Erfolg seines Lebens errungen und mit 3150 m einen neuen Weltrekord im Tieftauchen aufgestellt. Der greise Forscher hat damit alle Erfolge seiner Vorgänger weit übertroffen. Er, der Bezwinger der Stratosphäre, der als erster die höchsten Höhen erreicht hatte, war diesmal tiefer ins Meer hinabgetaucht als jemals ein Mensch zuvor: 3000 m ragt die Zugspitze, der höchste Berg Deutschlands, über den Meeresspiegel empor, und 3150 m tauchte der nahezu Siebzigjährige am 30. September 1953 vormittags zwischen 8.10 und 10.40 Uhr, 20 Meilen südwestlich von Chebres vor der Insel Ponza, unter den Meeresspiegel hinab.
Piccard, physisch erschöpft von der gewaltigen Anstrengung, beginnt zu erzählen, und im Eifer des Berichtens vergißt er mehr und mehr seine Übermüdung. Es zeigt sich, daß er seinen Humor trotz der eben überstandenen Schwierigkeiten und der doch beklemmenden Erlebnisse keineswegs verloren hat. Sprühend vor Witz schildert er, was er inzwischen durchgemacht hat, erzählt die Episoden, über die er jetzt lachen kann, die aber im Augenblick de Erlebens alles andere als lustig waren.
Harmlos war noch, was gleich zu Beginn des Unternehmens an der Oberfläche des Meeres passierte: Piccards Sohn Jacques, der den Vater in die Tiefe begleitete, war beim Einstieg in die Tauchkugel so aufgeregt, daß er durch eine ungeschickte Bewegung vom Tragschiff ins Wasser fiel, noch ehe er die Kugel erreicht hatte. Unter dem Gelächter der zahlreichen Zuschauer mußte er sich herausziehen lassen und seine triefednasse Hose mit einer geborgten vertauschen, die ein großproportionierter Freund des Professors ihm zur Verfügung stellte. Sie war ihm viel zu groß und zu weit; Jacques Piccard glich eher einem Clown als einem Forscher, der ein gefährliches Wagnis auf sich nimmt.
Endlich war es so weit: Vater und Sohn waren in der Kugel verfrachtet, die Fahrt in die Tiefe konnte beginnen. Alles schien gut zu gehen, genau wie berechnet. Das Bathyscaph sank langsam tiefer und tiefer. An Piccard zogen die bekannten, ihm wohlvertrauten Bilder vorüber wie ein phantastisches Märchen: Fische in bunten, prächtigen Farben und bizarren Formen, Blumen aus Stein, Gruppen und Girlanden bildend, und ganze Wälder aus Korallenbäumen von seltsamer, berauschender Schönheit. Bald war die 1000-m-Grenze erreicht, bis zu der im Jahre 1934 William Beebe vorgedrungen war. Aber unaufhaltsam ging die Fahrt weiter abwärts. Als der Tiefenmesser 1500 m anzeigte, mußte Piccard an Barton denken, dessen Forscherdrang an diesem Punkt im Jahre 1949 Einhalt geboten worden war.
Doch ihm war es vergönnt, weiter vorzudringen. Allmählich näherte sich das Bathyscaph der 2000-m-Grenze und damit dem Punkt, über den hinaus bis zu diesem Tag kein Mensch vorgedrungen war: der bisherige Weltrekord lag bei 2100 m. Zwei französische Offiziere der Unterwasser-Versuchsanstalt Toulon - Kommandant Houot und Ingenieur Willm - hatten diese Tiefe am 14. August 1953 zehn Meilen südöstlich von Toulon erreicht. Ihr Tauchschiff F.N.R.S. 3 war eine Kombination von U-Boot und Taucherkugel und aus Piccards Tauchkugel F.N.R.S. 2 weiterentwickelt worden. - Für Piccard aber schien es keine Grenze zu geben: immer tiefer und - wie es ihm vorkam - auch immer schneller ging es abwärts.
Die 3000-m-Grenze wurde erreicht und überschritten. Schon seit mehreren hundert Metern herrschte vollkommene Dunkelheit. Die Kugel schien in schwärzeste Nacht einzutauchen. In tiefster Tiefe trat dann das Unvorhergesehene ein, das beiden Tauchern den Atem stocken ließ und sie beinahe dem Tod auf dem Meeresgrund ausgeliefert hätte: das Bathyscaph blieb im Schlamm stecken und war nicht wieder loszubekommen! Es kam für den Forscher völlig überraschend, in einer Tiefe in Schlamm zu versinken, in der nach den Lotungen und Berechnungen noch Wasser sein mußte. Noch überraschender war die Tatsache, daß der Schlamm nicht verhärtet war. Bis jetzt war es eine allgemeingültige Ansicht der Tiefseeforscher, daß die Ablagerungen des Meeres nur eine dünne Schicht bilden - wenige Zentimeter stark - und zudem noch schnell verhärten. Piccard aber stellte fest, daß die weiche Schlammschicht mehrere Meter hoch war. Angst und Sorge erfaßten Kapitän Carlo Zanchi, die Mannschaften der beiden Begleitschiffe und die vielen Zuschauer, als so lange kein Zeichen aus der Tiefe kam.

Zwei Stunden im Schlamm
Zwei Stunden dauerte die Ungewißheit, zwei Stunden und achtzehn Minuten waren Vater und Sohn mehr als 3000 m unter dem Meeresspiegel in einem Raum mit nur 2 m Durchmesser eingeschlossen. Wie mögen dem fast zwei Meter großen Professor Piccard, der über die gleichen langen Beine wie Beebe zu klagen hat, diese in der engen Kugel geschmerzt haben! Zwei Stunden arbeiteten die beiden mit größter Kraftanstrengung, Selbstdisziplin und Kaltblütigkeit an ihrer Befreiung, bis es ihnen schließlich gelang, das Bathyscaph wieder flottzumachen. Das Wunder geschah: der Tiefseeschlamm gab sie frei! Als sie dann an der Oberfläche erschienen, wurden sie mit großem Jubel und Begeisterung empfangen. Piccard schilderte mir, wie die Menge ihn als Volkshelden empfing, ihn auf den Schultern trug und ihm an Land Ehrungen bereitete, die er trotz seiner großen Ermattung geduldig über sich ergehen ließ, um den Leuten nicht den Spaß zu verderben. Da gab es Auszeichnungen durch den Bürgermeister, Ehrungen durch Pater Diez und ein Festessen von solchen Ausmaßen wie es sicher seit den Zeiten der alten Römer nicht mehr stattgefunden hatte. Ein Teilnehmer der Bucker-Expedition vom Roten Meer, Silverio Zecca, überreichte Piccard feierlich eine Siegestrophäe: die Säge eines Sägefisches - ein Ehrensymbol der Fischer -, die Piccard sich um die Schultern hängte.
Kurz darauf liefen aufsehenerregende Berichte durch die Presse: Im Schlick, der an der Tauchkugel klebte, war Gold gefunden worden - zwar nur in kleinen Mengen, aber immerhin befand es sich greifbar am Rumpf der 'Trieste', und es schien, daß Piccard endlich ein reicher Mann geworden sei. Die näheren Untersuchungen und Analysen ergaben jedoch, daß nur geringe Spuren reinen Goldes in den Schlammklumpen enthalten waren und zunächst weitere Beobachtungen angestellt werden müßten, bevor man an eine wirtschaftliche Ausbeute des 'Tiefsee-Goldes' denken könnte.
Durch eine Flut unrichtiger und entstellender Berichte ist bei den meisten Menschen ein falsches Bild von Piccard entstanden. Ich will versuchen, Ihnen den genialen Forscher und Menschen so zu schildern, wie ich ihn kenne:
Piccard ist weder der schroff abweisende, mürrische alte Mann, noch der Phantast, als der er oft hingestellt wird. In Wirklichkeit ist er ein liebenswürdiger alter Herr, der die Menschen mit großen, kindlichstrahlenden, blauen Augen anblickt. Er wirkt - trotz des hohen Alters - fast jugendlich, und sein Wesen ist voller Frische und Lebendigkeit. Ich muß auch die falsche Vorstellung zerstören, nach der es Piccard bei seinen Versuchen hauptsächlich um Probleme der Ozeanographie und Biologie gehe: da er Physiker ist, interessiert er sich in erster Linie für die physikalisch-technischen Probleme, die das Tiefseetauchen stellt, etwa für den Bau der Tauchgeräte und ihr Verhalten in großen Tiefen. Seine Gründlichkeit hat ihm schon oft das Leben gerettet: er geht allen Dingen unbeirrbar auf den Grund und prüft jede Einzelheit selbst nach, sogar die Werkstoffe, aus denen seine Fahrzeuge bestehen, und die Präzision seiner Instrumente.
Piccard ist skeptisch gegenüber Spekulationen - im Gegensatz zu weitverbreiteten, falschen Meinungen -, jedoch zugleich auch begeisterungsfähig und einsatzbereit für hochgesteckte, aber realisierbare Ziele. Er ist sowohl fremden als auch eigenen Arbeiten gegenüber kritisch und begibt sich nie in das unsichere Gebiet der Utopien und Phantastereien.

Der ewige Kampf um das Geld

Er blieb sich selbst stets treu. Mit Energie, Opfermut und Zähigkeit führte er jede einzelne seiner Unternehmungen - von der Stratosphäre bis zur Bathysphäre - folgerichtig und planmäßig durch. Geldsorgen überschatten sein Wirken ebenso wie das der meisten Wissenschaftler. Durch weitreichende Verbindungen gelingt es ihm jedoch immer wieder, neue Quellen zu erschließen.

Als Kosmopolit steht der gebürtige Schweizer über den engen nationalen Grenzen. Als wirklich gebildeter Mensch beschränkt er sein Interesse keineswegs auf seine eigenen Tätigkeitsgebiete, sondern ist auch anderen Wissenszweigen, vor allem der Musik und der Kunst, aufgeschlossen.

Im persönlichen Verkehr ist Piccard überaus freundlich - wenn auch mancher allzu aufdringliche Reporter vielleicht die gegenteilige Meinung vertreten wird! Seine Unterhaltungen führt er mit Humor und Aufrichtigkeit, und seine Offenheit ist oft sogar größer, als der Welt angenehm ist: sie hat ihm nicht selten bei engherzigen Menschen geschadet und ihn um manche Chance gebracht. Als Gastgeber ist er die Zuvorkommendheit in Person und stets lebhaft um das Wohlergehen seiner Gäste besorgt -- einem Grundzug seines Wesens gemäß, dem alles Kleinliche fremd ist. Piccard ist ein Idealist im besten Sinne des Wortes!


Das Tauchschiff - Piccards eigene Konstruktion
FIEBERKURVE DER TIEFSEE!

So könnte man die nebenstehende graphische Darstellung nennen, die das Vordringen des Menschen in die geheimnisvolle Welt der Tiefsee schematisch wiedergibt. Der Tiefenrekord von Prof. Piccard stellt nach der Meinung des kühnen Forschers noch lange nicht die unterste Grenze dar. Was erwartet die Forscher in noch tieferen Regionen?
Der nahezu Siebzigjährige führte mich persönlich durch die Werft, auf der seine letzten Fahrzeuge entstanden sind. Das Bathyscaph - so nennt er sein Tauchgerät - übertraf durch die Genialität seiner Konstruktion alle meine Erwartungen. Es besteht aus zwei Teilen: der eigentlichen Tauchkugel, in der sich die Menschen aufhalten, und dem sogenannten Tragschiff. Beide sind fest miteinander verbunden und gehen zusammen in die Tiefe, aber die Tauchkugel muß äußerst stabil gebaut sein, weil in ihrem Innern normaler Luftdruck herrscht und sie dadurch dem ungeheuren Wasserdruck ausgesetzt ist. Für das Tragschiff gilt das nur zum Teil, es dient zum Manövrieren und Fortbewegen. Die Tauchkugel hat bei einer Wandstärke von 9 cm einen Durchmesser von zwei Metern und wurde aus einer Legierung von Nickelchrom und Molybdän in Terni, der Waffenschmiede Italiens, hergestellt. Die Tauchkugel besteht aus zwei Hälften, von denen jede fünf Tonnen schwer ist. Beide sind zusammengeschweißt, gut vernahtet und außerdem an der Verbindungsstelle durch ein Stahlband verstärkt. Die Einstiegöffnung hat einen Durchmesser von 40 ein, die beiden Fenster haben je 25 cm Durchmesser. Seit jeher bestand die Schwierigkeit, für die Beobachtungsfenster druckfestes Glas zu bekommen. Beebe hatte - nach vielen fehlgeschlagenen Versuchen - Quarz gewählt, der allein dem riesigen Druck unter Wasser standhalten konnte, allerdings nur bis zur 1000-m-Grenze. Barton und Piccard verwendeten dann später einen druckfesteren Werkstoff, nämlich Plexiglas erster Qualität. Es hält Tonnenlasten aus, wenn man es - wie Piccard mir sagte - in entsprechender Stärke verwendet. Damit ist das Problem, das früheren Forschern so viel Kopfzerbrechen machte, durch die neuen Werkstoffe der Kunststoffindustrie gegenstandslos geworden. Rein materialmäßig kann man mit Fenstern aus Kunstharzfasern Tiefen von mehreren tausend Metern erreichen - eine Tatsache, die für die künftige Erschließung der Bathysphäre von wesentlicher Bedeutung ist.

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EIN SELTSAMES DOPPELWESEN

ist das Bathyscaph Prof. Piccards, dessen Querschnitt unser Bild zeigt. Unzählige Versuche und eine jahrzehntelange Erfahrung auf dem Gebiet des Tiefsee-Tauchens waren nötig, um einen Tauch-Apparat zu schaffen, der auch in unbekannten Tiefen gegen alle Gefahren die größtmögliche Sicherheit zu bieten vermag. Trotzdem aber bleibt jeder Vorstoß in die unbekannte Welt des Schweigens immer ein großes Wagnis, dessen höchster Einsatz das Leben des Forschers selbst ist. Im Frühjahr will Piccard im Atlantischen Ozean 4000 m tauchen.
Seine Kenntnisse in Ballistik und Mechanik haben es Piccard ermöglicht, den Konstruktionsplan zusammen mit seinem Sohn zu entwerfen und ihn im Verein mit Fachleuten der führenden Eisenwerke und Werften Europas in Italien zu realisieren.
Die Atmungsanlage besteht - wie ich sofort am guten Material feststellte - aus einer soliden Dräger-Apparatur. Die Herstellerfirma, die ihren Sitz in Lübeck hat, stellte sie dem Forscher, ebenso wie am 26. Mai 1931 zum Stratosphärenflug, bei dem Piccard mit seinem Ballon eine Höhe von 15381 m erreichte, auch diesmal wieder zur Verfügung. Mehrere mit Sauerstoff und Helium gefüllte Flaschen, wie man sie zur künstlichen Atmung bei Narkosen verwendet, liegen in der Kugel, außerdem einige Kalium-Natrium-Patronen. Piccard erzählte mir, daß er schon einmal in der Stratosphäre von 8 Uhr früh bis 4 Uhr nachmittags nach diesem System künstlich geatmet hat. Außerdem gehören zur Ausstattung des Bathyscaphs noch eine elektrische Beleuchtungs- und Ventilationsanlage mit Entfeuchtungskammern, die mit Silikat-Gel gefüllt sind, ferner Barometer, Hygrometer, Tiefen- und Dichtigkeitsmesser. Horizontal- und Vertikalbewegungen des Tauchgerätes werden ohne die Hilfe eines Begleitschiffs durch eigenen Schraubenantrieb des Tragschiffs durchgeführt. Dadurch ist größte Betriebssicherheit und Unabhängigkeit vom Begleitboot gewährleistet. Das Bathyscaph selbst wurde in jahrelanger Arbeit durchkonstruiert. Das U-Bootförmige 30 Tonnen schwere Tragschiff ist etwa zwölf Meter lang, fünf Meter hoch und vier Meter breit, hat zwei Schrauben, Stabilisierungs- und Steuerflächen und einen sogenannten Kommandoturm. Es dient als Trag- und Schwimmkörper für die unter ihm hängende Tauchkugel. Für diesen Zweck faßt es 30000 l Benzin. Piccard weist besonders auf den Tank im Tragschiff hin, der den Auftrieb reguliert. Wie bei den Fischen das hydrostatische Organ - die Luftblase - als Schwebe-Ausgleichsregulator für die Auf- und Abwärtsbewegung dient, so hält dieser Tank die schwere Tauchkugel, deren Gewicht mit 12 Tonnen größer als ihr Auftrieb ist, im Wasser schwebend. Dabei hat Leichtbenzin durch sein günstiges spezifisches Gewicht einen hohen Auftriebswert: nach dem Prinzip der 'kommunizierenden Röhren' dringt bei zunehmender Tiefe Meerwasser von unten in den Tank, beziehungsweise in das Tauchboot. Die Wände des Tauchkörpers sind also nicht dem ungeheuren Wasserdruck in der Tiefe des Meeres ausgesetzt. Da das spezifische Gewicht des Wassers dreimal so groß ist wie das des Benzins, bleibt das Wasser unter dem Benzin und entweicht beim Aufstieg von selbst wieder aus dem Tank. Der sogenannte Kommandoturm liegt etwa in der Mitte des Tragschiffs.
Er führt zu einigen gut abgedichteten inneren Räumen, von denen einer besonders starke Wandungen hat. Er ist zur Unterbringung empfindlicher Geräte bestimmt. Die Zuführungen zur Kugel - Kabel und sonstige Leitungen - werden durch modernste Isolationen am Rande der Fenster ins Kugelinnere geleitet. Nur in der Kugel halten sich die Forscher während des Tauchens auf. Die Einstiegluke ist mit einem Guckfenster versehen, das geschickt im Türrahmen angebracht ist und eine Orientierung nach rückwärts ermöglicht. Diese Einrichtung ist - der Tauchkugel Beebes gegenüber - neu und von großer Bedeutung für die horizontale Fortbewegung des Bathyscaphs, die nun nach beiden Seiten erfolgen kann. Für die Unterwasserbeleuchtung ist ein großer Scheinwerfer so unter dem Boot angebracht, daß sein Lichtstrahl direkt in den Blickbereich der Bathyscaphfenster fällt, so daß auch in größeren Tiefen mit Hilfe künstlichen Lichtes Aufnahmen gemacht werden können. Wie Piccard erwähnt, brachte Beebe das nicht zustande, weil er seine Kugel durch einen Scheinwerfer, der sein Licht durchs Fenster nach außen werfen mußte, von innen erhellte. Dadurch waren aber Spiegelungen an den Außenseiten des Fensters unvermeidlich und Photo-Aufnahmen unmöglich. Bei dieser kühnen Neukonstruktion Piccards wurden alle guten Erfahrungen, die mit den ersten Tauchkugeln Beebes, Bartons und Piccards gemacht worden waren, mit hervorragenden Verbesserungen, nicht zuletzt aus den Erkenntnissen der Ballistik, kombiniert. Man denke dabei besonders an die Steuerung des Tauchbootes, die große Ähnlichkeit mit Luftstabilisierungs- und -lenkorganen aufweist.
Überraschend war, was ich von Piccard im Laufe unseres Gespräches über die Ballastbehandlung erfuhr. Auch hier verwendet er seine Erfahrungen aus der Stratosphäre. Er erklärte mir, daß der Ballast - ebenso wie beim Ballonaufstieg - in Form von kleinen Eisenschrotkugeln, wie ich sie tonnenweise liegen sah, nicht auf einmal, sondern laufend abgegeben wird, damit das Bathyscaph nicht zu schnell an Tiefe verliert. Piccards neue Idee besteht darin, daß sein Bathyscaph die Eisenkugeln durch eine elektromagnetische Steuerung abwirft und bei Versagen der elektrischen Anlage ganz verliert, wodurch die Tauchkugel automatisch an die Oberfläche steigt. Außerdem wird Sand als Ballast verwendet.

Warum taucht Piccard?
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"IN JEDE TIEFE

kann die 'Trieste' vordringen", äußerte Piccard nach einem seiner letzten Tauchversuche. Der Wissenschaftler und Stratosphärerforscher ist gebürtiger Schweizer und heute 69 Jahre alt. Unter Assistenz seines Sohnes Jacques ist er mit unermüdlicher Energie dabei, neue Tauchvorhaben zu planen und zu organisieren. Bild links zeigt das Bathyscaph beim Eintauchen ins Mittelmeer.
Ich fragte Piccard, ob er kosmische Strahlen in der Tiefe des Meeres nachweisen oder messen will. Aus seiner Erwiderung geht hervor, daß der Zweck seiner Tiefseeforschung nicht mit der Atmosphäre zusammenhängende Messungen sind, wie ursprünglich angenommen wurde. Des Rätsels Lösung bringt Piccards Antwort auf meine nächste Frage, ob er Chuns Buch 'Leben der Tiefsee' kenne, in dem dieser Forscher die Ergebnisse seiner Reisen mit der 'Valdivia` im Jahre 1899 zusammengefaßt hat. Sofort wird Piccard lebhaft und gesteht, bereits als Zwanzigjähriger dieses Buch gelesen und seither den Plan gehabt zu haben, in die Tiefe zu tauchen. Leider habe ihm dazu jedoch das Geld gefehlt!

Diese unerwartete Äußerung Piccards läßt ganz neue Gesichtspunkte erkennen: Piccard hat deutlich zu verstehen gegeben, daß er bereits vor Beebe und vor Barton die Absicht gehabt hat, die Tiefsee zu erforschen. Da der Amerikaner über die nötigen Geldmittel verfügte, konnte er seine Pläne früher verwirklichen. Piccard blieb nichts anderes übrig, als sich zunächst auf dem Umwege über die Stratosphäre einen Namen zu machen, um die Öffentlichkeit später für seine Tiefseepläne zu interessieren. Der Bau eines Tiefsee-Apparates ist ja bedeutend kostspieliger als der eines Stratosphärenballons. Um wieviel solider und massiver als ein Ballon muß eine Tiefseekugel konstruiert werden, die fähig sein soll, Tausende von Metern hinabzusinken - mit Menschen, die bei zunehmender Tiefe auch in steigendem Maße gefährdet sind, die von der schwächsten Niete abhängig und auf Gnade und Ungnade dem zermalmenden Druck einbrechenden Wassers ausgeliefert sind, bevor sie Hilfe von oben erhalten können!
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DAS GROSSE WAGNIS BEGINNT!

Die Forscher sind an Bord gegangen, die letzten Taue zu den Begleitbooten werden gelöst. Unter den gespannten Blicken der Zurückbleibenden versinkt die 'Trieste' unmittelbar vor der steil abfallenden Felsenküste von Ponza in den Fluten. Bei diesem letzten Probetauchen erreichte Piccard den Meeresgrund in 1050 m Tiefe. Die 'Trieste' hatte die Prüfung bestanden.
Heute hat Piccard den ersten Pionieren der Tiefsee gegenüber manchen Vorteil: er kann ihre Erfahrungen für seine Konstruktionen verwerten und zudem Kunststoffe verwenden, die seinen Vorgängern noch nicht zur Verfügung standen.

Bescheiden erwähnt Piccard im Gespräch, daß er 1951 mit seinem ersten Bathyscaph keinen offiziellen Rekord erreichte, wie ihn Barton im gleichen Jahr mit 1372 m Tiefe aufstellte. Immerhin drang sein Apparat damals ohne Besatzung bei automatischem Ab- und Aufstieg in 29 Minuten bei den Kapverdischen Inseln bis zu einer Tiefe von 1500 m vor.

Nun hat dem ausdauernden, zielbewußten Forscher sein großer Erfolg bei Ponza recht gegeben: sein Weltrekord stellt alles in den Schatten, was bisher auf diesem Gebiet geleistet wurde. Durch sein eigenes Geständnis vermögen wir heute seine ganze bisherige Forschertätigkeit in einem neuen Licht zu sehen: von Jugend an war es die Bathysphäre und nicht die Stratosphäre, deren Erforschung ihm am Herzen lag! Sein eigentlicher Plan war von jeher die Ergründung der Tiefe - die Erforschung der Höhe galt ihm mehr oder weniger nur als Mittel zum Zweck. Seine Erfolge belohnen jetzt jahrelange Opfer und Ausdauer: er hat als erster Mensch die höchsten Höhen und die tiefsten Tiefen erreicht.

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ZURÜCK AUS DER TIEFE.

Erlöst atmen die Helfer auf, als das 'Bathyscaph' am 30. September 1953 nach seinem Tiefenrekord mit 3150 m wieder über der Wasser-Oberfläche erscheint. Erschöpft, aber zufrieden lächelnd läßt sich Piccard dann ins Beiboot helfen.

Piccards nächstes Forschungsziel in diesem Frühjahr ist der Vorstoß in die Tiefsee-Gräben des Atlantiks. Während seiner todesmutigen Fahrt kamen ihm völlig neue Gedanken zum Umbau seines Tauchbootes. Diese Pläne wird er nun ausarbeiten und realisieren, um mit Sicherheit noch größere Tiefen zu erreichen und zugleich die Manövrierfähigkeit des Bathyscaphs zu steigern, ohne die Passagiere zu gefährden. Das bedeutet für ihn eine Menge Arbeit in seinem Walliser Heim. Außerdem muß er neue Finanzierungsquellen erschließen, damit er im Frühjahr sofort mit dem Umbau des Tauchbootes beginnen kann. Wegen der Ausführung der Umbauarbeiten hat er wenig Bedenken: sein tüchtiger Ingenieur Raito hat größte Erfahrung im Bau von Tauchschiffen. Schwieriger ist schon das Problem, das durch seine Absicht entsteht, in Zukunft nicht im Mittelmeerraum zu tauchen, sondern fischreiche und klarsichtige Gebiete des Atlantiks aufzusuchen, etwa bei Cap Palmas südlich der Kapverdischen Inseln im Äquatorbereich oder an der Somaliküste im Indischen Ozean mit Tiefen von 5600 beziehungsweise 5000 Metern. Dazu müßte die 'Trieste' eine schnittige, hydrodynamische Form erhalten, die Kugel zur Fahrt stromlinienförmig verkleidet und die Einrichtung durch wichtige Apparate ergänzt werden. Piccard sagte nur, daß er vor allem weitere Registriergeräte benötige und eine Neukonstruktion des Tiefenfahrtmessers plane, die ihm schon greifbar vorschwebe. Erfahrungen lägen auf diesem Gebiete so gut wie keine vor, da jeder Tiefsee-Fahrer seine Pläne und Konstruktionen vor den anderen so weit wie möglich geheimhalte. Jeder muß sich also seine Erfahrungen selbst durch Erfolge und Mißerfolge erkämpfen. Piccard ist seiner Sache sicher und konnte es sich deshalb leisten, seine erste Tauchkugel den Franzosen zu überlassen und diesen darüber hinaus sogar noch einen mächtigen Vorsprung vor sich selbst zu geben.
Sehr enttäuschend war für ihn allerdings die Feststellung, daß die letzten Wassertiefen über dem Boden des Mittelmeerbeckens nicht nur undurchsichtig, sondern sogar völlig in Finsternis getaucht und selbst mit stärkstem künstlichem Licht nicht zu durchdringen waren. Die Schwebeteilchen vernichten das auffallende Licht und machen so eine 'Durchleuchtung' des Wassers unmöglich - ähnlich wie dichter Nebel ja die Strahlen der Autoscheinwerfer absorbiert und darum lichtundurchdringlich ist.

Bahnbrecher der Wissenschaft
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"NUR EIN GLAS FRISCHES WASSER"

verlangte der unerschütterliche Forscher, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Man sieht ihm und seinem Sohn Jacques (rechts im Bild) noch deutlich die schwere seelische und körperliche Belastung des geglückten Tauchversuches an. "Der Sturm der Reporter und Fotografen war anstrengender als das ganze Tauchabenteuer", meinte Piccard. Nach kurzer Erholungspause werden neue Pläne geschmiedet, um der unbekannten Welt der Tiefsee weitere Geheimnisse abzuringen.
Piccard beschäftigt sich mit der Frage, ob man mit andersartigem Licht, etwa von anderer Farbe oder Wellenlänge, oder mit stärkeren Batterien und Aggregaten arbeiten sollte, um bessere Erfolge zu erzielen. Und der Tiefsee-Forscher und geniale Konstrukteur und Physiker wird alle diese Probleme lösen und sein Bathyscaph so gestalten, daß es zu seiner Fahrt in den Atlantik gerüstet sein wird. Ich freue mich, ihn dann begleiten zu dürfen.

Professor Piccard hat schon seit jeher einen erbitterten Kampf gegen die Meinung geführt, daß es ihm darauf ankomme, Weltrekorde aufzustellen. Immer haben ihn ausschließlich wissenschaftliche Beweggründe geleitet, deren Folgerungen sich jetzt noch gar nicht übersehen lassen. So wie die Erkenntnisse, die er von seinem Stratosphärenflug mitbrachte, für die Fliegerei von entscheidender Bedeutung waren, so werden eines Tages die Ergebnisse seiner Tauchfahrten auf vielen Gebieten unsere Anschauung vom Weltall verändern können. Piccard selbst ist davon überzeugt, daß mit der Grundkonstruktion seines Tauchschiffes auch die tiefsten Abgründe der Ozeane erreicht werden können. Die Auswirkungen seiner kühnen Vorstöße in die Tiefsee lassen sich heute zwar noch nicht abschätzen. Mit gutem Recht aber kann man dem greisen Professor den Titel eines Bahnbrechers der Forschung und Wissenschaft geben.