Auszüge aus veröffentlichter Primärliteratur zu Gesellschaft, Wissenschaft und Technik. Diese Zitate sollen die Diskussion der Heftbesprechungen im Digedags-Forum unterstützen. Der Text wurde Printmedien entnommen, Flüchtigkeits- und Übertragungsfehler bitte ich unkommentiert zu entschuldigen. Hier geht es zur Hauptseite: www.mosafilm.de


Zitat aus: Zeitschrift "hobby" Das Magazin der Technik, EHAPA-Verlag GmbH Stuttgart, Artikel "Sonnenglut von Menschenhand", Heft 06/1958, S. 77-83

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Sonnenglut von Menschenhand

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Endlich haben sich die westlichen Atommächte entschlossen, der Weltöffentlichkeit mitzuteilen, was hobby schon vor vielen Monaten prophezeite: Die Demobilisierung der H-Bombe ist möglich, und die Erzeugung von Atomenergie aus künstlichen Sternen ist bereits - wenn auch nur im Laboratorium - gelungen (s. hobby 12/1955 und 8/1957). Robert Gerwin, der Autor der beiden genannten Artikel, gibt hier einen umfassenden Einblick in die gegenwärtigen Bemühungen, Kernenergien für friedliche Zwecke durch Verschmelzung leichter Atomkerne nutzbar zu machen.
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DER TORUS des ZETA-Gerätes In Harwell Ist deutlich zu erkennen (Bild links). Er stellt ein Aluminiumrohr von 1 m Durchmesser dar, das zu einem Ring von 3 m Durchmesser zusammengebogen Ist. In Ihm befindet sich der 'Brennstoff', das Deuterium. Der Torus versieht die Funktion einer Magnetischen Flasche. Im Innern des relativ unscheinbaren Torus - genauer gesagt, im Innern der in ihm befindlichen Deuterium-Gassäule - werden bereits Temperaturen von 2 bis 5 Millionen Grad erzeugt. Rechts: Ein Blick In den Kontrollraum des ZETA-Gerätes.

Wenn man durch ein mehrere Zentimeter breites und einige Millimeter dickes Kupferblech einen Stromstoß von einigen zehntausend Ampere schickt, dann kann man eine recht eigenartige Erscheinung beobachten: Wie von einer Riesenfaust gepackt, wird der Blechstreifen zu einem annähernd runden Stab zusammengeknüllt; der Streifen schmilzt dabei nicht, nur seine Ränder rollen sich ein.
Dieses eigenartige Phänomen - auch die deutschen Physiker bezeichnen es meist mit dem englischen Begriff 'Pinch-Effekt' -, das bisher meist nur dazu diente, Nicht-Fachleuten, die ein Hochspannungslaboratorium besichtigen, Schauer der Ehrfurcht über den Rücken zu jagen, hat fast über Nacht Weltberühmtheit erlangt. Mit seiner Hilfe wurde es nämlich möglich, das Feuer der Sterne auf die Erde zu holen, das heißt, Kernverschmelzungen bei hohen Temperaturen im Laboratorium durchzuführen.
Die Verschmelzung leichter Atomkerne, zum Beispiel der Kerne des Wasserstoffisotops Deuterium, ist an sich ein widernatürlicher Vorgang. Atomkerne tragen positive elektrische Ladungen und stoßen sich darum ab; nur wenn man sie mit großer Kraft gegeneinanderschleudert, können sie sich so nahe kommen, daß die sehr starken, aber nur in geringer Entfernung wirkenden Kernkräfte, die die positiv geladenen Protonen im Atomkern zusammenhalten, die elektrische Abstoßung überwinden. Mit hoher Geschwindigkeit bewegen sich Atomkerne aber nur dann, wenn sie sich in einer sehr heißen Umgebung befinden. Darum braucht man, wie im innern der Sonne, eine Temperatur von vielen Millionen Grad Celsius, um leichte Atomkerne zu so heftigen Zusammenstößen zu bringen, daß sie miteinander verschmelzen.
Nun verdampfen aber selbst die temperaturbeständigsten Stoffe wie Wolfram, Siliziumkarbid, Tantal und Osmium bereits bei einer Temperatur von einigen tausend Grad. Wie soll man mit solchen Baumaterialien ein Reaktionsgefäß bauen, in dem Temperaturen von einigen Millionen Grad erzeugt und aufrechterhalten werden können? Bei der Sonne ist das kein Problem, weil ihre Masse etwa 330 000mal so groß wie die Masse der Erde ist. Da sorgt allein die Schwerkraft, die Massenanziehung der äußeren Gasteilchen, für den nötigen Druck und damit für die hohe Temperatur. Bei kleineren 'Reaktionsräumen' besitzt eine heiße Gaswolke jedoch auf Grund ihrer Temperatur das Bestreben, sich im Raum zu verteilen. Man muß sie darum mit technischen Mitteln konzentrieren und komprimieren.
Die Lösung dieses Problems brachte der Pinch-Effekt und die sogenannte Magnetische Flasche. Der Pinch-Effekt (to pinch heißt quetschen, drücken, kneifen) ist nichts anderes als die Kraftwirkung des magnetischen Feldes, das jeden Draht umgibt, der von einem Strom durchflossen wird. Bei sehr kräftigen elektrischen Strömen wird das magnetische Feld jedoch so stark, daß es nicht nur wie bei jedem Elektromagneten Eisenteile anzieht, sondern sogar auf den stromführenden Draht selbst drückt. Hat dieser einen rechteckigen Querschnitt (handelt es sich bei ihm zum Beispiel um ein Blech), dann wird er von den magnetischen Kräften erbarmungslos auf den kleinstmöglichen Querschnitt zusammengequetscht. Das gleiche geschieht in einem leitenden Gas, durch das ein starker elektrischer Strom fließt: die Gassäule zieht sich zusammen. Dabei wird die Stromdichte und auch die Temperatur im Innern des Gases immer größer. Der Pinch-Effekt bewirkt also zweierlei: Die heißen Gasteile werden von den Wänden des Rohres, in dem sie sich befinden, ferngehalten, und die Erwärmung im Innern der Gassäule nimmt stark zu.

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PERHAPSATRON nennt sich dieses kreisförmige amerikanische Reaktionsgefäß (unten), das Ähnlichkeit mit dem britischen ZETA-Gerät besitzt, jedoch erheblich kleiner Ist. Sein Torus besteht aus Glas. Die darin erzielte Temperatur beträgt ebenfalls mehrere Millionen Grad. - Es hat lange gedauert, bis diese streng geheimen Fotos zur Veröffentlichung freigegeben wurden.

Die Magnetische Flasche führt zum gleichen Ergebnis, allerdings auf etwas anderem Weg. Während das Magnetfeld beim Pinch-Effekt von der stromdurchflossenen Gassäule selbst erzeugt wird, entsteht dieses Feld bei der magnetischen Flasche von außen her, es wird wie bei jedem Elektromagneten mit Hilfe einer stromdurchflossenen Spule aufgebaut. Das Entladungsrohr, in dem sich die Gassäule befindet, bildet also das Innere eines Elektromagneten. Jedes mit einer elektrischen Ladung versehene Teilchen des stromführenden Gases, das zur Seite und nicht in Richtung der Achse des Magneten fliegen will, wird vom Magnetfeld wieder in das Innere der Gassäule zurückgestoßen. Das magnetische Feld schließt die Teilchen wie eine Flasche ein - daher die Bezeichnung Magnetische Flasche für das magnetische Führungsfeld. Erhöht man die magnetische Feldstärke der Spule, dann führt das zu einer Verengung der 'Flasche' und somit zu einer Kompression, einer Verdichtung der Gassäule. Diese beiden Effekte sind die Grundlage aller Kernverschmelzungsexperimente. Auf ihnen beruht auch der Erfolg des größten und zweifellos leistungsfähigsten Versuchsgeräts, des ZETA, das im britischen Atomforschungszentrum Harwell gebaut wurde. ZETAs Seele besteht aus einem Aluminiumrohr, das erhebliche Ähnlichkeit mit dem Schlauch eines Autoreifens aufweist. Das Rohr selbst hat einen Durchmesser von 1 m und ist zu einem Ring von 3 m Durchmesser zusammengebogen, zu einem Torus, wie man ein solches Gebilde in der Technik nennt. In ihm befindet sich der 'Brennstoff', das Deuteriumgas. Der Torus ist als Magnetische Flasche ausgebildet, er ist mit einer Drahtwindung versehen, durch die die elektrisch geladenen Atome in die Mitte des ringförmigen Rohres getrieben werden. Außerdem bilden die Gasteilchen im Innern des Torus' eine einzige kurzgeschlossene Windung eines großen Transformators (siehe obenstehende schematische Darstellung).
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COLUMBUS nannten die Amerikaner dieses Reaktionsgefäß, in dem sie gleichfalls Kernverschmelzungen durchführten. Der Stromstoß springt hier zwischen zwei Elektroden, die sich an den beiden Enden des Reaktionszylinders befinden in Form eines Lichtbogens über. Die fünf Drahtwindungen liefern das erforderliche Magnetfeld zur Erzeugung einer sogenannten Magnetischen Flasche.

Jeder Transformator besitzt eine Primär- und eine Sekundärspule. Hat die Sekundärspule weniger Drahtwindungen als die Primärspule, dann wird die Spannung des Stroms herabgesetzt, die Stromstärke dagegen erhöht. Das geschieht auch im ZETA. Er wird von einer gewaltigen Batterie von Kondensatoren gespeist, in denen man 500000 Joule (eine Strommenge, die ein 1000-Watt-Heizofen in 8,5 Minuten verbraucht) speichern kann. Diese Kondensatoren legt man, nachdem man sie aufgeladen hat, direkt an die Primärspule des ZETA-Geräts und versetzt diesem so einen gewaltigen elektrischen Schlag. Dieser Schlag wird im gleichen Augenblick in einen ungeheuer starken Stromstoß verwandelt, der im Deuteriumgas -- der Sekundärwindung des Transformators --- fließt. Er erreicht für einige tausendstel Sekunden eine Stärke von 200 Ampere. Dabei tritt der Pinch-Effekt in Aktion: Im gleichen Maße wie die Stromstärke im Deuteriumgas zunimmt, zieht sich die Gassäule in sich 'zusammen. Das Führungsfeld der Magnetischen Flasche sorgt dabei dafür, daß die Gassäule nicht zur Seite umknickt und nicht die Wände des Aluminiumrohres berühren kann. So erzielte man in Harwell bereits Temperaturen von 2 bis 5 Millionen Grad Celsius im Innern der Deuterium-Gassäule. Je Stromstoß entstanden etwa drei Millionen freie Neutronen. Sie sind der sicherste Beweis dafür, daß Kernverschmelzungen wirklich stattgefunden haben, denn sie sind sozusagen das Abfallprodukt der Verschmelzung. Noch in diesem Jahr hofft man, durch Vergrößerung der Kondensatoren-Batterie Temperaturen von 25 Millionen Grad zu erreichen und damit die Sonne zu übertrumpfen - wenigstens was ihre Temperatur betrifft. ZETA ist die Abkürzung für 'Zero Energy Thermonuclear Assembly', das heißt in freier Übersetzung 'Kernverschmelzungs-Nullenergiereaktor' und soll bedeuten, daß mit dieser Versuchsanordnung noch keine Energie gewonnen werden kann. In der Tat erhielt man bei den bisherigen Experimenten --- sie begannen am 30. August vorigen Jahres --- höchstens den billionsten Teil (ein Millionstel eines Millionstels) der elektrischen Energie, die man zum Betrieb des ZETA brauchte, in Form von Verschmelzungswärme wieder zurück. Erst wenn es gelingt, in einem ähnlichen Gerät Temperaturen von etwa 300 Millionen Grad zu erreichen und wenn man diese Temperatur für eine Sekunde aufrechterhalten kann, wird die in das Gerät hineingesteckte Energie nicht größer als die durch Kernverschmelzung gewonnene sein. Erst dann beginnt eine technische Energiegewinnung im eigentlichen Sinne des Wortes. In Amerika arbeiten heute über 500 Personen, darunter 250 Wissenschaftler und Ingenieure, an Problemen der kontrollierten Kernverschmelzung. Jedoch hat man dort bisher lediglich von zwei kleineren Anlagen technische Einzelheiten veröffentlicht. Das eine dieser Geräte besteht aus einem Torus aus Glas, der bequem auf einem Labortisch Platz hat. Das darin enthaltene Deuteriumgas wird nach dem Prinzip der Magnetischen Flasche zu einem kreisförmigen Stromfaden geformt. Die Induktion des Stromstoßes erfolgt entweder nach dem beim ZETA angewandten Transformator-Prinzip oder mit Hilfe von Elektroden wie bei einem - Zyklotron (hobby, August 1954, Seite 37). Selbst mit dieser bescheidenen Anlage - Perhapsatron genannt - erreichen die Amerikaner Temperaturen von mehreren Millionen Grad und eine Neutronenausbeute von einigen Millionen Neutronen pro Entladung. Ähnliche Ergebnisse erzielte man in den USA mit einem Porzellanzylinder von 12,5 cm Durchmesser und 60 cm Länge, Columbus genannt, bei dem der Stromstoß nicht induziert wird, sondern direkt (in Form eines Lichtbogens) zwischen zwei Elektroden, die sich an den beiden Enden des Zylinders befinden, im Deuteriumgas überspringt. Ein zusätzliches magnetisches Feld dient zur Stabilisierung der Gassäule.

Klick auf die Abbildung => ZOOM Aus Japan berichtete Dr. Ninoruk Okada, daß er in einer Anlage, die Ähnlichkeit mit Amerikas 'Columbus' besitzt, fünf Millionen Neutronen je Stromstoß bei einer Temperatur von etwa einer Million Grad in Freiheit setzen konnte. In Deutschland ist Professor Wilhelm Fucks, Aachen, mit ähnlichen Versuchen beschäftigt. Die bekannte Gruppe von Physikern, die unter Leitung von Professor Ludwig Biermann und Dr. Arnulf Schlüter in Göttingen an Problemen der Kernverschmelzung arbeitet, hat bereits vor mehr als einem halben Jahr viele Einzelheiten der ZETA-Konstruktion auf Grund theoretischer Überlegungen vorausgesagt. Im Bereich der Kernverschmelzung können auch die 'Habenichtse des Atomzeitalters' mitspielen. Die Kernverschmelzung ist kein Privileg für die Atom-Großmächte. Die überragende Bedeutung der Kernverschmelzung besteht jedoch darin, daß mit ihr eine ungemein billige und praktisch unerschöpfliche Energiequelle erschlossen wird. Aus etwa 22 Litern Meerwasser kann man 1 Gramm Deuteriumgas gewinnen. Das kostet nach britischen Berechnungen 1,20 DM. Gelingt es, dieses eine Gramm Deuterium vollständig in einem Kernverschmelzungsreaktor umzusetzen, dann hat man eine Energiemenge gewonnen, die 10000 Tonnen Kohle entspricht. Selbst wenn die Menschheit tausendmal soviel Energie brauchen sollte, wie sie heute verarbeitet, kann sie den im Deuteriumgehalt der Weltmeere schlummernden Energievorrat selbst in einer Milliarde Jahre nicht auf brauchen.
Drittens -- und diese Erwägung ist nicht die letzte, die für die Kernverschmelzungsenergie spricht - wird es bei einem Verschmelzungsreaktor verhältnismäßig einfach sein, Elektrizität direkt zu erzeugen, also ohne daß man mit der bei der Verschmelzung entstehenden Wärme erst Dampf herstellen muß, der dann Turbinen und schließlich Generatoren antreibt. Ein solcher Reaktor-Generator ist zweifellos die vollkommenste und idealste Konstruktion eines Kraftwerkes überhaupt. Sie existiert heute zwar nur als Idee, aber die Wahrscheinlichkeit, daß diese Idee verwirklicht wird, ist recht groß geworden und nicht mehr in ungreifbarer Ferne.