Auszüge aus veröffentlichter Primärliteratur zu Gesellschaft, Wissenschaft und Technik. Diese Zitate sollen die Diskussion der Heftbesprechungen im Digedags-Forum unterstützen. Der Text wurde Printmedien entnommen, Flüchtigkeits- und Übertragungsfehler bitte ich unkommentiert zu entschuldigen.
Von der Traumwohnung zur Traumstadt. Im Jugendweihebuch "Unsere Welt von morgen" entwickeln Karl Böhm und Rolf Dörge 1959 ihre Vorstellungen vom künftigen Leben in der sozialistischen Gesellschaft. Bemerkenswert ist die Offenheit ihrer Visionen. Internationale Forschungen und Entwicklungstendenzen werden analysiert und fließen, dort wo sie nicht nur einer Minderheit sondern der breiten Masse der Bevölkerung zugute kommen kann, in ihr Zukunftsbild ein. Im Ergebnis wird dem Jugendlichen eine fast perfekte Gesellschaft aufgezeigt, die, unter sozialistischen Produktionsverhältnissen, greifbar nahe ist.
Der nachfolgende Text schließt sich, das sollte man nicht verschweigen, an die Darstellung der zukünftigen "Plattenbauweise" an. Im 7-Jahrplan bis 1965 sah man vor, auch ca. 750.000 neue Wohnungseinheiten zu schaffen. Der Anteil der Großblock- und Großplattenbauweise sollte dann 80% erreicht haben.

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Zitat aus Karl Böhm / Rolf Dörge "Unsere Welt von morgen", © 1959 Verlag Neues Leben, 4. Auflage 1961, S. 399-409


Von der Traumwohnung ...

Setze dich in deinen bequemsten Sessel, schlage die Beine übereinander, schließe die Augen -- und träume!

Träume von der Wohnung, die du dir heute wünschen würdest, wenn du Aladins Wunderlampe oder Peter Schlehmils unergründlichen Zaubersack hättest! Was würde dabei herauskommen? Ein Schloß mit sieben Zinnen, mit Türmen und einem Wassergraben ringsherum, mit „Gemächern" statt Zimmern und einem „Altan" statt eines vernünftigen Balkons? Mit viel Dienerschaft, weißen Zeltern und Hundemeuten, mit denen du in die tiefen Forsten auf die Jagd gehst? Mit großen Sälen, in denen abends der fröhliche Lärm von Becherklang, von Tanz und Spiel im glänzenden Schimmer unzähliger Leuchter erklingt?
Ein Traumschloß also, wie aus einem Märchen oder aus einer Kitsch-Operette?
Oder vielleicht ein Häuschen am Rande der Stadt, eingebettet im Grünen, möglichst bescheiden geduckt in ein Gärtchen, mit Starkästen vorn, mit Kaninchenstall und Hühnerauslauf hinten, mit ein bißchen Grünfutter, Kartoffeln und Gemüse, dazu einigen Spalierobstbäumen und den paar Blumen, die ein biederes Gemüt wenigstens sonntags genießen möchte, um der Welt außerhalb seiner „vier Wände" - es sind ja immer erheblich mehr! - geruhsam entsagen zu können? Vielleicht aber auch eine Wohnung, klein oder groß, wie du sie eben brauchst, gerade richtig für dich und deine Familie, mitten in der Stadt oder ihr jedenfalls so nahe wie möglich, bequem und praktisch, modern und behaglich?
Denke dir ruhig weitere Varianten aus - es gibt ihrer so viele. Wie weit sie Aussicht haben, aus Wunschträumen von heute zur Wirklichkeit von morgen zu werden, hängt von ihrer Wirklichkeitsnähe ab. Und zwar perspektivisch, mit den Augen der Zukunft gesehen! Dabei muß man sich immer vor Augen halten, daß die Zukunft aus verständlichen Gründen weder unvernünftig noch rückständig oder gar reaktionär sein kann - anders würde es sie gar nicht geben! Die Zukunft ist immer fortschrittlich, dem Fortschritt aufgeschlossen, dem Neuen zugeneigt; das versteht sich von selbst. Betrachtet man sie im Licht dieser Binsenwahrheit, enthüllt sich auch unverzüglich jede Schwäche an Träumen: Was sie in Widerspruch zu der vernünftigen Entwicklung bringt, das ist eben falsch und wird unerfüllt, ein bloßer Traum bleiben. Was aber die objektiv wirkenden Entwicklungsbedingungen berücksichtigt, das wird erfüllt werden; denn sie sind die Wege in die Zukunft.
Auf unsere Traumwohnung übertragen bedeutet das unter anderem: Unser Schloß wird wenig Aussichten darauf haben, als Wohnung von morgen zu dienen; und mag es noch so lange auf den Operettenbühnen spuken. Denn es ist von vorgestern, und es hat wenigen „Auserwählten" als Wohnung gedient, die auf Kosten vieler Menschen lebten, die in Hütten hausen mußten. Es wäre übrigens eine abscheuliche Vorstellung, das gütige und so vielfältig nützliche Antlitz unserer Mutter Erde übersät zu sehen von unzähligen Schlössern, wie sie Raubritter Kunibert von Bogenstein, Rittergutsbesitzer Bodo Graf Januschau, Plantagenbesitzer Sir Joshua Cotton oder Ölmagnat Mr. Franklin Oilfield auf den Knochen ihrer Untertanen erbauen ließen.
Ganz nebenbei gesagt: Wer sollte denn die Dienerschaft, die Knappenschar und das unübersehbare Heer der Unfreien stellen, die das Leben dieser Schloßbewohner umrahmen und überhaupt erst ermöglichen? Mit dem Schloß ist es also nichts, liebe Träumer, die ihr immer im Gestern und Vorgestern herumstolpert! Auch nichts mit dem Häuschen, das sich ins Grüne duckt, mit Kaninchen, die den Umgang mit Menschen ersetzen, und dem Gemüsebeet, das einen zum halben Selbstversorger macht. Niemand wird in einigen Jahrzehnten noch etwas von selbstgezogenem Gemüse wissen wollen - außer ausgesprochenen Liebhabern natürlich, die es auch dann noch in kleiner Zahl geben wird. Niemand wird mehr den Wunsch haben, seinen Kohl selbst zu bauen und sich in eine Kleinwelt einzuschließen, um den Problemen der großen, der Menschenwelt zu entgehen - was er in Zukunft nicht mehr nötig haben wird, was aber sogar heute und gestern erwiesenermaßen unwirksam und unsinnig ist oder war.
Ganz abgesehen von der menschlichen Enge dieser Daseinsweise des Stadtrandsiedlers mit seinem weltabgeschiedenen „Aufgehen" in seine Miniaturwelt, die durch seinen Gartenzaun begrenzt ist, und für die der werktägliche Gang zur Berufsarbeit nur eine unangenehme, wenn auch notwendige Unterbrechung bedeutet - abgesehen von dieser Seite also wird auch die wirtschaftliche Zurückgebliebenheit solcher falschen Idylle zu überwältigend offenkundig, als daß sie länger aufrecht erhalten werden könnte. Das Angebot an Lebensmitteln aller Art, einschließlich jahreszeitlicher Seltenheiten, wird derartig vielseitig, billig und bequem wahrzunehmen sein, daß der Preis eines selbstgezogenen Kohlkopfes oder Kaninchenbratens dagegen geradezu unerschwinglich erscheinen müßte, vor allem wenn man zugrunde legen würde, was eine Arbeitsstunde im Beruf wert ist. Soviel Freizeit der Mensch bereits im letzten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts auch haben wird: Er wird sie also sicherlich für bessere und schönere Zwecke als für den kümmerlichen Versuch zu verwenden wissen, sich mit Hilfe bienenfleißiger Kleingärtnerei und Kleintierzucht zu einem bescheidenen Selbstversorgertum zu verhelfen. (Was die Gartenarbeit aus Liebhaberei und Gründen der Erholung betrifft, so wird sie natürlich noch in fernster Zukunft ihre Anhänger haben. Ja, sie wird wahrscheinlich, mit allen Raffinessen der Gartentechnik und der Biologie ausgeübt, zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen gehören.) Halten wir uns nochmals vor Augen, daß wir uns mit Riesenschritten der Zeit nähern, in der es selbstverständlich ist, daß die Menschen sich die Wohnung ziemlich genau nach Wunsch auswählen werden. In den nächsten zehn Jahren werden wir in den sozialistischen Ländern die uralten, aber keineswegs ehrwürdigen Zustände des Wohnraummangels überwinden. In einem weiteren Jahrzehnt wird die Bauwirtschaft, die ihre Leistungen ja immer weiter steigern wird, einen ausreichenden Vorlauf - mit heutigen Maßstäben gemessen: einen Überfluß! - an Wohnungen schaffen. Damit beginnt die Zeit der „Traumwohnungen". Werden sie üppig sein? Keineswegs. Sie werden gleichzeitig"Wohnungen nach Maß" sein. Denn niemand wird sich etwa aus Gründen der Eitelkeit oder der Repräsentation, die darin im gesellschaftlichen Leben keine große Rolle mehr spielen werden, eine zu große Wohnung aufhalsen, die ja auch eine gewisse Belastung bedeutet - selbst bei reichster Ausstattung mit vollkommenen technischen Ausrüstungen.
An dieser Ausstattung aber wird es keiner neuen Wohnung fehlen, ganz gleich, ob sie sich in einem großen Wohnblock oder in einem Einfamilienhaus befindet. Wenn alles das, was heute bereits an Mitteln und Möglichkeiten bekannt ist, eine Wohnung wirklich komfortabel, nach neuesten Gesichtspunkten zweckmäßig und wohnlich sowie technisch modern auszurüsten, überall zur Anwendung kommen könnte, würden wir unseren Traumwohnungen bereits recht nahe sein. Im Vordergrund der Bemühungen, mit Hilfe der modernen Technik Wohnungen wirklich wohnlich zu machen, steht die leidige Hausarbeit. Noch immer ist die überwiegende Mehrzahl der Wohnungen in erster Linie Schauplatz einer täglichen harten Arbeitsschlacht, die in der Hauptsache von den Frauen in ermüdender körperlicher Anstrengung geleistet werden muß. Die kollektive Verteilung der Mühen auf die Schultern aller arbeitsfähigen Familienmitglieder entlastet zwar die Hausfrau, vermindert aber die gesamte Last selbst nicht im mindesten. Da hilft nur ein gründliches Mechanisieren des ganzen Haushalts, verbunden mit einer entsprechenden Änderung verschiedener Lebensgewohnheiten natürlich!
Daß die Küche rationell eingerichtet ist, daß in ihr die Arbeit „rund läuft", jeder überflüssige Handgriff und Schritt vermieden wird, versteht sich von selbst, ebenso die Tatsache, daß sie mit Universal-Küchenmaschine,. Geschirrspül- und -trockeneinrichtung, Kühlschrank für verschiedene Temperaturbereiche und Schnellwasch- maschine für Kleinwäsche versehen sein wird. Gleichzeitig aber wird in den Wohnungen der Zukunft viel weniger gekocht und gewaschen werden als heute. Wer gern kocht - auch das wird es als Liebhaberei noch lange geben - verzichtet immerhin auf die zeitraubenden Vorarbeiten, bedient sich der in unübersehbarer Auswahl überall zur Verfügung stehenden Halbfertiggerichte, von den geschälten und geschnittenen Kartoffeln bis zu den fertiggerollten Rouladen. Im übrigen aber wird es üblich sein, fertige Speisen zu beziehen, die für jeden Geschmack und zu jeder Stunde frisch wie im besten Speiserestaurant auf den Tisch des Hauses geliefert werden - in den großen Wohnblöcken vielleicht sogar durch eigene Speiseaufzüge aus einer zentralen Küche. Wäsche aber wird, außer eiligen Kleinigkeiten, keine Hausfrau mehr selbst waschen; das besorgen die Wäschereien schneller, billiger und schonender.
Diese Verlagerung herkömmlicher Hausarbeiten aus der individuellen Einzelzelle in den modernen Großbetrieb entlastet nicht nur die Familien, vor allem die Hausfrau, sondern gestattet vor allem die Anwendung großer und komplizierter Maschinen. Den Haushalt selbst kann man nur bis zu einem gewissen Grade mechanisieren. Automatisieren kann man jedoch jenen Teil der Hausarbeit, der an Großbetriebe abgegeben wird. Obwohl dabei der Komfort auf eine Höhe ansteigen wird, die uns heute wie Luxus erscheinen würde, wird er billiger erledigt werden, als das im Einzelhaushalt möglich wäre.
Das gilt auch für die Beheizung, die in vielen Wohnungen heute noch viel Mühe und Staub verursacht. Die Fernheizwerke, später wahrscheinlich einmal atomenergiegespeist, werden unschwer voll zu automatisieren sein. Aber sie sind nicht die einzige Form für die Wartung und staubfreie Beheizung unserer Wohnung. Als eine von vielen Möglichkeiten: die elektrisch beheizte Wandfläche. In einem Leningrader Institut wurden Platten aus gummiartigem Material entwickelt - und 1958 auch bereits erprobt -, deren Zwischenschicht aus Gummi und Azetylenruß unter Strom gesetzt wird, wodurch sie sich auf etwa 50° C erwärmt. Diese Platten, die jede beliebige Färbung erhalten und in die Wandfläche eingebaut werden können, sind außerordentlich billig. Für ein 20 m² großes Zimmer benötigt man etwa 4 m² Heizfläche, die auf etwa 40 Rubel kommen. Auch im Betrieb sind sie bei den heutigen Stromkosten bereits erheblich billiger als die bisher üblichen Zentralheizungen.
Viele solcher Möglichkeiten der Raumbeheizung stehen heute bereits zur Auswahl; morgen werden ihrer noch mehr sein. Für die Wohnung der Zukunft allerdings wird man mit einer Regelung der Temperatur allein nicht zufrieden sein. Deshalb werden sich die - im wesentlichen ebenfalls bereits entwickelten und sogar in Gebrauch befindlichen - Klimaanlagen immer mehr durchsetzen, an deren Skalen man für jedes Zimmer Temperatur, Feuchtigkeit und Zusammensetzung der Luft einfach einstellt, um gewiß zu sein, daß diese Größen innerhalb eines geringen Schwankungsbereichs automatisch so lange eingehalten werden, bis eine neue Einstellung erfolgt. Sie werden wahrscheinlich elektrisch gespeist werden, mit jener Energieform also, die auch in absehbarer Zeit noch am universellsten und wirtschaftlichsten anwendbar ist, besonders was die Feinverteilung an Betriebsenergiezentralen, an viele kleine Verbrauchsstellen, Kontrolleinrichtungen usw. betrifft. Das Atomzeitalter, das uns trotz stürmischer Entwicklung des Energiebedarfs einen Überschuß an Elektroenergie in der gesamten Wirtschaft bescheren wird, gestattet auch für den letzten Haushalt eine großzügige Anwendung der bequemsten und anspruchvollsten Formen der Beheizung, die alle eins gemeinsam haben werden: daß sie den Bewohnern weder Schmutz noch Mühe bereiten, ihnen jedoch ein gleichmäßig temperiertes Klima sichern, das unter anderem wesentlich zur Erhaltung ihrer Gesundheit beitragen wird. Nebenbei gesagt: Diese gesundheitsfördernde Atmosphäre reicht bis ins Bett, dessen Temperatur während des Gebrauchs auch durch alle Phasen des Schlafs hindurch vermittels eines Thermostats und einer elektrischen Steppdeckenbeheizung ständig auf der gleichen Temperatur gehalten wird. Auch das soll - da nach Aussagen von Experten zahlreiche Erkältungskrankheiten durch die Schwankungen der Körperwärme während des Schlafs ausgelöst werden - der Gesunderhaltung dienen.

Etwas ferner am Horizont, aber immerhin noch im zeitlichen Bereich unseres Ausblicks, tauchen Behausungen aus der Morgendämmerung der neuen Zeit, die vielleicht weitergehendere Anwendungen der neuzeitlichen Technik aufweisen:

  • Wohnungen mit Außenwänden aus durchsichtigem Kunststoff, deren Lichtdurchlässigkeit durch elektromagnetische Felder beliebig verändert werden kann. Außerdem sind Leuchtelemente eingeschmolzen. Durch Betätigung eines einfachen Drehknopfes kann man den taghellen Raum in tiefes Nachtdunkel versenken oder ihn nachts von der Leuchtwand wie von einem Himmel voller funkelnder Sterne erster Größe erhellen lassen. Die Farben der Wände können auf fotoelektrischem Wege nach Geschmack verändert werden. Wohnungen, deren Innenwände aus Schaumplasten ohne große Schwierigkeiten nach Bedarf verschoben werden können, so daß sie sich weitgehend den wechselnden Raumbedürfnissen der Bewohner angleichen lassen. Auch das Auswechseln von Wänden gegen solche mit anderen Einschnitten, wie Türen, Durchreichen, Durchbrüchen usw. ist ohne große Umstände möglich.
  • Gemeinschaftswintergärten, die durch mehrere Stockwerke reichen, in großstädtischen Wohnhäusern. Durch künstliches Klima und Sonnenlicht ist dafür gesorgt, daß selbst im tiefen Winter ein zauberhaft schöner Garten unmittelbar vor der Wohnungstür liegt und betreten werden kann, ohne daß man das Haus verlassen muß.
  • Anschluß sämtlicher Wohnungen eines Hauses an ein Zentralversorgungsnetz mittels Leitungen, die einer großkalibrigen Rohrpost ähneln. In Spezialbehältern werden vorbestellte Waren des täglichen Bedarfs, Speisen, frische Wäsche usw. in die Wohnung geliefert; Schmutzwäsche, Thermosgefäße und andere Dauerverpackungen wieder zurückgeliefert.

Das ist eine kleine Auswahl aus der Vielzahl von bereits aufgetauchten Projekten, die eine großzügige Anwendung der modernen Technik auf die Wohnung der Zukunft vorsehen, um sie für den Menschen von morgen so schön, so gesund, so praktisch und wahrhaft wohnlich wie nur möglich zu machen.
Was heute noch phantastisch anmutet, wird morgen selbstverständliche Gewohnheit, übermorgen als zu bescheiden bereits überholt sein.
Wir können sicher sein, daß bis zum Ende unseres Jahrhunderts der Wohnungsbau sowohl quantitativ einen ungeheuren Aufschwung nehmen, als auch vor allem qualitativ einschneidende Umwälzungen erfahren wird; und es ist gewiß nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß die Normalwohnung um das Jahr 2000 sich von der gegenwärtigen nicht weniger unterscheiden wird wie diese von den Behausungen unserer Vorfahren im Mittelalter.


... zur Traumstadt

Seine eigene Wohnung, wie man sie sich wünscht und einrichten würde, wenn man. .. - das kann man sich noch einigermaßen zielsicher vorstellen. Mit der Stadt, in oder bei der sie liegen soll, ist das schon schwieriger.
Es fehlt keineswegs an ausgearbeiteten Plänen. Eine ganze Reihe von Projekten ist, teilweise bereits in charakteristischen, das heißt beurteilungsfähigen Details, bekannt geworden. In allen Ländern der Welt arbeiten zahlreiche Architekten im Verein mit Künstlern, Verkehrsfachleuten, Ingenieuren, Ärzten, Gartengestaltern und anderen Experten an kühnen Plänen für neue Städte.
Über die städtebaulichen Anforderungen, die an eine Großstadt der Zukunft zu stellen sind, gibt es nicht allzu viele und nicht allzu große Meinungsverschiedenheiten. Sie gehen von den Fehlern aus, die den alten Städten anhaften und, die sie für die Bedürfnisse der Menschen von heute, erst recht aber für die Menschen von morgen völlig untauglich machen. Von Lärm, giftigen Auspuff- und Industrieabgasen erfüllten Häuser-, Schluchten, verstopften Straßen, dazu einem regellosen Durcheinander der verschiedensten Gebäude, vorn Wolkenkratzer bis zum Hinterhofschuppen, vom Einfamilienhaus mit staubigem Gärtchen bis zur Maschinenfabrik, deren Betriebsgestampfe die Bewohner der umliegenden Mietskasernen noch nachts in ihren Betten schüttelt - das alles findet man in den alten Großstädten durcheinandergemischt.
Das sind Umstände, die aus einer Zeit stammen, in der die Mehrzahl der Menschen von menschenwürdigen Lebensbedingungen ausgeschlossen war, verschärft durch die Verkehrs- und Arbeitsbedingungen sowie die Einwohnerzahlen der Gegenwart.
Für die Zukunft sind sie untragbar.

Aus der kritischen Überwindung dieser Zustände erwachsen die Vorstellungen von neuen Städten:
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Fünf Ebenen
des Großstadtverkehrs
von morgen

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  • Aufgelockerte, weiträumige Bauweise, auch in der Innenstadt, trotz deutlicher Herausbildung eines repräsentativen Stadtkerns mit Verwaltungsgebäuden, Theatern, Museen und anderen öffentlichen Gebäuden.
  • Die reichlichen Zwischenräume zwischen den Bauten gestatten durchgehend die Anlage von gärtnerisch gepflegten Grünflächen und eines großzügigen breiten Straßennetzes, das allen denkbaren Verkehrsbeanspruchungen gewachsen ist, wobei - wie bereits an anderer Stelle dargelegt wurde - der Hauptstrom des Fahrverkehrs über unterirdische Wege (Bahnen und Straßen) abgewickelt, der Durchgangsverkehr aber umgeleitet wird.
  • Läden und andere Versorgungseinrichtungen, Gaststätten und Kinos, Kindergärten und Schulen sind nach einem genauen Plan so auf die Wohngebiete verteilt, daß sie mit einem Minimum an Zeit und Weg zu erreichen sind und kapazitätsmäßig für die Bewohner ausreichen.
    Produktionsbetriebe mit unerwünschten „Nebenprodukten" wie Lärm und Rauch liegen in eigenen geschlossenen Vierteln in der Peripherie; sie belasten weder die Nerven noch die Lungen noch die Wege der Stadtbewohner.
  • Die Zahl der Gebäude und der Wohnungseinheiten, damit in ziemlich engen Grenzen auch der Einwohnerzahl, wird bereits im Entwurf für immer festgelegt; das (unvermeidliche) Weiterwachsen der Städte wird nicht durch die dichtere Bebauung der Zwischenräume in den vorhandenen Vierteln, sondern durch die Erweiterung des Stadtgebietes nach außen, durch die Anlage von „Trabantenstädten" in der näheren Umgebung der Stadt abgefangen.
  • Die Lage der Wohnstädte wird vorwiegend von den Wohn- und Erholungsbedürfnissen der Einwohner bestimmt; das gilt, freilich in engeren Grenzen, auch für jene Städte, die für die Belegschaft ortsgebundener Industrien - zum Beispiel Erzbergbau mit Verarbeitungsstätten - errichtet werden.
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Kreuzung
im Zentrum der
Großstadt


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Diese einfachen Prinzipien für die Anlage der Städte, in denen wir morgen leben möchten, muten selbstverständlich an, wenn sie auch noch erst in Anfängen praktiziert sind. Städtebau ist eben eine Angelegenheit mit sehr langen Laufzeiten!
Schon in den Entwürfen, die auf den Reißbrettern der Architekten entstehen, zeigen sich, international gesehen, jedoch unterschiedliche Auffassungen. Zwischen Entwürfen, die von „formalistisch um jeden Preis" experimentierenden Snobs für Snobs, aber nicht für eine großstädtische werktätige Bevölkerung verfertigt werden, und solchen Stadtplanungen, die sich den zukünftigen Bewohnern ihrer Bauten in jeder Einzelheit verpflichtet fühlen, zieht sich eine weite Skala von Varianten.
Krasser noch tritt die Unterschiedlichkeit, weniger der Auffassungen als der Verhältnisse, bei der Frage der Verwirklichung der kühnen Pläne zutage. Ob der Plan einer neuen Stadt zu dem Zweck erarbeitet wird, diese Stadt dann auch in zielstrebiger, präziser Arbeit zu erbauen, oder ob er auf dem Weg zur Verwirklichung im Dschungel von Interessenpolitik, Korruption und sozialen Mißverhältnissen steckenbleibt, das ist, wie man zugeben muß, ein entscheidender Unterschied. Wie sehr hier das Gesellschaftssystem, das in einem Lande herrscht, auch über das Schicksal all dessen entscheidet, was die Architekten ersinnen und gar was die Städtebauer planen, das ist dem Laien wie dem Nur-Fachmann gleicherweise kaum faßbar.
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An der Peripherie der Großstadt
liegen die Einrichtungen, die Stadt- und Fernverkehr eng verflechten.

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Manhattan, das „Herz" New Yorks, ein steinernes Chaos, das Alpdrücken hervorruft. Wer dort arbeiten muß, ist zu bedauern; wer dort wohnt, ist verdammt. Städtebauliches Symbol der Welt von gestern, nicht von morgen!
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Ein Beispiel von vielen:
(Die Abbildungen dieses Kapitels sind im Original nicht Bestandteil von "Unsere Welt von morgen".)
"Brasilia. Architektur der Moderne"


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Monumentalachse


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Nationalkongress
Architekt: Oscar Niemeyer


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Alvorado-Palast
(Residenz des Präsidenten) mit Kapelle
Architekt: Oscar Niemeyer

In den letzten Jahren machte ein Projekt von sich reden, das allerdings grandiose Ausmaße aufweist. Es handelt sich um die Errichtung, einer völlig neuen, sozusagen synthetisch erzeugten Hauptstadt für das zukunftsreiche Riesenland Brasilien. Der Staatspräsident der Vereinigten Staaten von Brasilien, Juscelino Kubitschek de Oliviera, ordnete an, daß auf einem klimatisch günstig gelegenen Hochplateau in dem Staat Goiás, mitten in einem Urwaldgebiet, rund 1000 km von der traditionellen Hauptstadt Rio de Janeiro entfernt, also weit im Innern des Landes, die neue Kapitale mit dem Namen „Brasilia" anzulegen sei. Bis 1961 sollte sie für 500 000 Einwohner bezugsfertig sein. Sie sollte das Äußerste an neuzeitlicher „Perfektion", sowohl städtebaulich wie architektonisch, wie technisch, repräsentieren.

Die Planung erfolgte entsprechend großzügig. Bald füllten Berichte über die atemberaubende Kühnheit der Entwürfe und über die Pracht der zukünftigen Metropole Brasiliens die Spalten der westlichen Zeitungen und Fachorgane.

Was wurde tatsächlich aus dem an sich imponierenden Projekt? Schon auf den Reißbrettern: Eine Ansammlung extravagant geformter Betonklötze mitten im Urwald. Im Zentrum ein Regierungsgebäude, das wie ein aufrecht gestelltes Verstärkerelement aus einer Telefonzentrale aussieht; davor ein flachliegendes, stark gewölbtes „Brillenglas", das Haus des Parlaments, sowie eine flache indische Reisschale, das Haus des Senats. Von ähnlichem Kaliber sind auch die anderen öffentlichen Gebäude, sogar die Kirchen. Der Chefarchitekt des gewaltigen Projekts, Lucis Costa, erläuterte die Grundidee seines Generalplans folgendermaßen: „Der Entwurf Brasilias entstand aus der ursprünglichen Geste, mit der man einen Platz kennzeichnet, von dem man Besitz ergreift. - Zwei Achsen, die sich im rechten Winkel schneiden, bilden ein Kreuz."

Also eine völlig willkürlich gewählte Form, die mit Städtebau von heute kaum etwas zu tun hat, als verbindliche Gestaltungsidee für die neue Hauptstadt eines riesigen Landes, die schon für den Anfang eine halbe Million Einwohner aufnehmen soll!

Zum Glück: für die vorgesehenen Bewohner ist es längst nicht soweit. Denn auch, ja vor allem die Phase der Verwirklichung jener allzu kühnen Pläne verfing sich im Gestrüpp üppig wuchernder Korruption, Vetternwirtschaft und Spekulation des heutigen Brasiliens. Von Brasilia standen 1958 der erste Teil eines Hotels und der Rohbau des „Palastes der Morgenröte", des Amtssitzes des Präsidenten, der bei der Fertigstellung aber vielleicht schon nicht mehr Kubitschek heißt. Daneben gähnen die Riesenkrater der Baugruben, in denen einmal die Fundamente für die Wolkenkratzer und Reisschalen versenkt werden sollen. Es geht langsam voran auf diesem Riesenbauplatz, der einige tausend Quadratkilometer umfaßt. Noch fehlen ihm die Adern der Verkehrswege, die ihn versorgen könnten: Straßen und Eisenbahnlinien. Fast alles Material und andere Güter müssen auf dem Luftwege herbeigeschafft werden.

Als diese Stadt im April 1960 offiziell eingeweiht wurde, befand sie sich immer noch im Zustand eines amerikanischen Goldgräberlagers aus der Zeit um die Jahrhundertwende - freilich überdimensional und mit fragwürdigen modernen Stätten versehen: Einige Wolkenkratzer, einige Regierungsgebäude aus Beton. Glas und Chrom, Tausende von Straßenkreuzern und andere Segnungen. Zwar sprach man von 100 000 Einwohnern; aber davon waren 70 000 Arbeiter, die auf dem Bau beschäftigt waren und in kümmerlichen Baracken wohnten. Und die Tatsache, daß sich unter den übrigen 30 000 bereits zahlreiche Banken samt ihren Clerks sowie der Klerus - geplant ist ein erzbischöflicher Sitz mit 22 Gemeinden! - befanden, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Brasilia mindestens vorläufig eine Fehlspekulation ist. Auf alle Fälle eine Spekulation, keine echte Stadtgründung!

Denn selbst wenn die Schwierigkeiten einst überwunden werden sollten - freilich nicht bis 1961! - wird die Freude an der neuen Hauptstadt kaum das Gros ihrer Bewohner erfassen. Hohe Beamte der Regierung, Verwandte und Freunde der Minister und andere Leute, die in der alten, geschäftsdurchpulsten Hauptstadt Rio das Gras von Brasilia früher wachsen hörten als selbst die Landmesser, die das Baugelände abzustecken hatten, sicherten sich rechtzeitig zu billigen Preisen Grund und Boden, um ihn flugs in eine Arena fröhlicher und einträglicher Spekulationsgeschäfte verwandeln zu können. Den Bewohnern Brasilias wird dieser Sport einst teuer zu stehen kommen, falls sie sich bis dahin nicht von seinen Ursachen und Folgen befreien.

Das alles paßt zu den hintergründigeren Motiven, die den Initiator des „Projekts Brasilias", Staatspräsident Kubitschek, veranlaßten, sich damit zu übernehmen. Bekanntlich bestehen im heutigen Brasilien starke soziale Spannungen, die sich in einem Maße verschärfen, das den herrschenden Kreisen nicht ganz geheuer ist: natürlicher Reichtum des Landes, Luxus und Verschwendung bei den oberen Zehntausend - daneben für das Gros der Bevölkerung eine Armut, die in manchen Gebieten katastrophale Elendsformen annimmt. Dieser Zustände hofft der „Vater von Brasilia" vermittels eines psychologischen Effekts Herr zu werden. Vor Studenten der Universität von Sao Paulo erklärte er: „Die Gründung der Bundeshauptstadt Brasilia ist gleichzeitig die Gründung des Gleichgewichts der brasilianischen Nation. Der Schock des Umzugs wird eine Änderung in der Mentalität des Volkes hervorrufen." Städteplanungen, die solchen politischen Absichten unterworfen sind und unter solchen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ihre Verwirklichung suchen müssen, können kaum zu Städten der Zukunft führen.

Das gilt im wesentlichen auch für alle anderen größeren Projekte oder sogar Ausführungen im Herrschaftsbereich der „freien Unternehmerinitiative".

"Brasilia. Architektur der Moderne"


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Parlament
Architekt: Oscar Niemeyer

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Abgeordnetenhäuser und Standardministerien


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Brasilia 2004

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Ist "Motopia" die Stadt der Zukunft?

Der bis zum Exzeß gesteigerte Motorverkehr auf den Dächern, die Fußgänger allein auf den Straßen - das ist die Grundidee dieses Entwurfs des englischen Architekten Jellicoe, der hofft, daß seine Traumstadt in etwa 50 Jahren vor den Toren Londons errichtet wird. Daß diese Hoffnung - zum Glück für die englische Bevölkerung des Jahres 2000 - trügt, beweist nicht nur die Tatsache, daß dieses reichlich gewaltsam anmutende Bienenwebensystem kaum eine menschenwürdige Großstadt ergibt, sondern auch die Kalkulation auf typisch kapitalistischem Boden: Eine Dreizimmerwohnung in dieser „Stadt" soll (nach heutigen Maßstäben!) immerhin 500 Mark Miete im Monat kosten! Solche Träume sind und bleiben allerdings Schäume ...

Bodenspekulation, Mietwucher, architektonische Extravaganzen, trotz unangebrachter Tollkühnheit in den Entwürfen fühlbarer Mangel an Kühnheit in der Ausführung wirklich großer Projekte - das sind die Bremsklötze, die den Städtebau in den westlichen Ländern behindern. Das gilt nicht nur für die Rekonstruktion, Korrektur und Erweiterung bereits vorhandener, sondern vor allem für die Anlage völlig neuer Städte, die in den kapitalistischen Ländern bisher auf wenige, obendrein umstrittene und nicht genügend reale Projekte beschränkt sind. Das ist um so bedauerlicher, als zahlreiche beachtenswerte Details beweisen, daß manche Städteplaner im Westen nicht schlechter sind als im Osten. Es fehlt ihnen „nur" der richtige Rahmen für ihre Tätigkeit. Das führt unter anderem dazu, daß so bedeutsame Architekten wie Frank Lloyd Wright oder Martin Wagner (beide USA), die gründlich, wenn auch nicht gründlich genug über Städte von morgen nachgedacht haben, vor den gesellschaftlichen Konsequenzen ihrer fachlichen Überlegungen zurückschrecken. Statt andere, günstigere Voraussetzungen für den Städtebau zu fordern, flüchten sie sich mit ihren Traumstädten in eine Traumwelt. Zurück zur Natur! Zurück zu einfachen Lebens- und Produktionsformen! Bauernhöfe und Werkstätten, kleine und große Wohnhäuser sollen sich in Ensembles zusammenfinden, die nicht mehr Dorf, aber auch noch nicht Stadt sind. Das ist ihr „Ausweg". Was aus jenem Teil der Bevölkerung werden soll, der bei solchen Lebens- und Produktionsformen verhungern oder wenigstens elend darben müßte, statt reich zu sein, verraten diese Reformer allerdings nicht. Ihre Pläne umreißen denn ja auch nicht die Städte von morgen, sondern allenfalls die Städte von vorgestern, verbrämt mit modernen technischen Details.
Wer die Städte der Zukunft sucht, muß sich schon in der sozialistischen Welt umsehen. In der Sowjetunion zum Beispiel entstanden in der Zeit von 1926 bis 1956 nicht weniger als 641 neue Städte. Im Verlauf des Siebenjahrplans, bis 1965 also, werden zahlreiche weitere Städte neu erstehen. Die Gründung neuer Städte, in früheren Jahrhunderten eine historisch weithin sichtbare Leistung von Herrschern mit langer Regierungszeit, in den kapitalistischen Ländern der Gegenwart eine seltene und reichlich umstrittene Angelegenheit, zu der sich Präsidenten, Konzerne, Direktoren und Bankiers zusammenfinden, ist in unseren Ländern zu einer Selbstverständlichkeit geworden, über die das werktätige Volk entscheidet. „Massenerzieherische Schocks" von der Hand ausländisch dotierter Staatspräsidenten, gequälte Ausgefallenheiten ultramoderner Architekten, die so etwas nötig haben, spielen dabei keine Rolle. Ganz sicher darf man darüber sein, daß die Gesetze, nach denen die Form, das Gefüge und die Funktion der zukünftigen Städte bestimmt werden, weder nach festgelegten Baustilen, nach willkürlichen geschmacklichen Auffassungen über Fassaden oder Baulinien, oder gar nach mystischen Gleichnissen festgelegt werden, sondern daß sie sich aus den Anforderungen ergeben, die von den Bewohnern an die Stadt der Zukunft gestellt werden, und aus den technischen Möglichkeiten, diese Forderung optimal zu erfüllen. Natürlich gab und gibt es auch beim Städtebau in den sozialistischen Ländern Experimente, Fehlentwicklungen und entsprechende Korrekturen. Aber sie liegen alle wenigstens im Zielgebiet, das durch die Würde und die Bedürfnisse der Menschen von morgen umrissen wird. Diese werden auch die Stadt von morgen bestimmen. Da sie heute geplant und zwischen heute und morgen gebaut werden muß, sollten wir uns über sie im klaren sein. Die Stadt von morgen wird in bezug auf Wohnlichkeit, auf Verkehrsbequemlichkeit, auf Versorgung mit materiellen und kulturellen Gütern sehr hohen Ansprüchen der Bewohner gerecht werden müssen. Wohnraum. Verkehrskapazität, die Möglichkeit sich zu unterhalten und zu bilden müssen in diesen Städten gesichert sein. Entsprechende Anforderungen werden an ihre baulichen Einrichtungen gestellt werden. Für neue Städte, wie Stalinstadt oder Hoyerswerda („Schwarze Pumpe"), ist das schon heute kein Problem mehr; sie können schon heute so geplant und erbaut werden, daß sie auch noch in einigen Jahrzehnten allen Ansprüchen genügen. Aber völlig neue Städte werden vorerst, wenigstens bei uns in Deutschland, relativ wenig entstehen. Weit wichtiger ist die Aufgabe, die bereits bestehenden städtischen Ansiedlungen, die der Hitlerkrieg zerstört hat oder die einer gehörigen Erweiterung bedürfen, neu aufzubauen. Die Marschrichtung auf Anlagen, die den Forderungen der Zukunft einigermaßen standhalten können, ist gerade bei diesen Rekonstruktionen, die zugleich Neukonstruktionen sein müssen, im Westen und im Osten unseres Vaterlandes recht verschieden. Während es bei uns in der Deutschen Demokratischen Republik eine Selbstverständlichkeit ist, daß der Wiederaufbau und erst recht die Neuerrichtung von Städten oder Stadtteilen nicht nur das von gestern restaurieren darf, was erhaltungswürdig ist, sondern sich vor allem auf das Morgen orientieren muß, gibt es in zahlreichen westdeutschen Städten einen Weg, der eine groteske Mißachtung aller Vernunft darstellt: Geradezu mittelalterliche Bau- und Verkehrsverhältnisse werden wiederhergestellt - nicht weil die Ehrfurcht vor Kulturschöpfungen nationaler Vergangenheit das erfordert, sondern einfach deshalb, weil es den übernommenen Verhältnissen des Privateigentums entspricht. Diese grundsätzliche Einengung, die in manchen Städten zu geradezu bizarren städtebaulichen Mißbildungen führt, wird manchmal leicht übersehen, weil in den Einzelheiten durchaus modernste Bautechniken angewandt und hervorragende Detaillösungen gefunden werden, so daß bestimmte Gebäude oder Teile von ihnen vorbildlich sind. Aber gerade im Städtebau zeigt sich, daß eben die Technik für sich noch nicht viel besagt, sondern die Frage ihrer Anwendung: Wofür? In welchem Rahmen und in wessen Interesse? - ausschlaggebend ist. Sozialistische Verhältnisse erweisen sich auch im Städtebau als prinzipiell überlegen. Grundstücksspekulation und andere Erscheinungen, in denen sich die egoistischen Interessen einzelner Grundstücksbesitzer austoben, sind als Hindernis ausgeschaltet. Die neuen Städte können großlinig entworfen und errichtet werden, so vernünftig, praktisch, schön und geräumig, wie die besten Städteplaner sie nur ausdenken können. Großzügig kann in ganzen Ensembles geplant und auch - was die Hauptsache ist - gebaut werden. Alles was auf dem Gebiet der Materialien, der Bautechnik, der Architektur, des Verkehrswesens, der Versorgungsregelung an Gutem und Brauchbarem neu auftaucht, kann mit Konsequenz durchgehend angewendet werden. Gerade in dieser Hinsicht stehen wir an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter im Städtebau. Vor uns liegt eine Zeit, in der wahrhafte Traumstädte mit der Schnelligkeit von indischen Wunderpalmen überall dort, wo man sie braucht, aus dem Boden wachsen werden - Städte, deren gesamte Einwohnerschaft so schön, gesund, bequem und angenehm wohnen wird, wie es in der Vergangenheit allenfalls nur wenigen Auserwählten möglich war. Und diese Städte werden sich von denen, in denen wir oder gar unsere Eltern ihre Jugend verbrachten, nicht weniger unterscheiden wie etwa das neue Berlin von dem schmutzigen Provinznest, das diese Stadt vor dreihundert Jahren war.
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