Auszüge aus veröffentlichter Primärliteratur zu Gesellschaft, Wissenschaft und Technik in der DDR. Diese Zitate sollen die Diskussion der Heftbesprechungen im Digedags-Forum unterstützen. Der Text wurde Printmedien entnommen, Flüchtigkeits- und Übertragungsfehler bitte ich unkommentiert zu entschuldigen. Hier geht es zur Hauptseite: www.mosafilm.de
Mosaikzeit Prof. Dr. Robert Havemann (Kurzbiographie)
001.12.1955 Abgeordneter der Volkskammer / Professor der Humboldt-Universität in Ost-Berlin
01312.1957 Prodekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität (Monat ist mir unbekannt)
015.02.1958 Vollmitglied des Politbüros der SED und Sekretär des ZK verantwortlich für Sicherheitsfragen, Kaderfragen und "Leitende Parteiorganisation"
037.12.1959 Nationalpreis II. Klasse der DDR (Monat ist mir unbekannt)
049.12.1960 Gründer und nebenamtlicher Leiter der "Arbeitsstelle für Photochemie" an der Deutschen Akademie der Wissenschaften (DAW) in Ost-Berlin. (Monat ist mir unbekannt)
073.12.1962 Havemann hält in Leipzig einen Vortrag mit dem Titel "Hat die Philosophie den modernen Naturwissenschaften bei der Lösung ihrer Probleme geholfen". (Monat ist mir unbekannt)
076.03.1963 Eine Berliner Studentenzeitschrift greift Robert Havemann an wegen eines Vortrages über marxistische Philosophie, in dem er sich kritisch über die DDR-Regierung äußert / Robert Havemann wird nicht mehr als Kandidat der Volkskammer nominiert / Parteiausschluß
087.02.1964 Auf dem 5. Zentralkomitee-Plenum der SED wird Havemann von verschiedenen Mitgliedern wegen seiner Reden und Vorlesungen attackiert.
088.03.1964 Amtsenthebung und Parteiausschluß von Robert Havemann
090.05.1964 Veröffentlichung seiner Vorlesungen unter dem Titel "Dialektik ohne Dogma" in der Bundesrepublik Deutschland
102.05.1965 Die westdeutsche Wochenzeitung "Die Zeit" veröffentlicht Havemanns Artikel "Ja ich hatte Unrecht. Warum ich Stalinist war und Antistalinist wurde."
109.12.1965 Fristlose Entlassung und Hausverbot für die DAW
112.03.1966 Politbüromitglied Erich Mückenberger bezeichnet Wolf Biermann, Stephan Heym und Robert Havemann als "Verbündete der Gegner des Sozialismus" / Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften lehnen mit einer Stimme Mehrheit den Ausschluß von Robert Havemann ab
113.04.1966 Robert Havemann wird aus der Akademie der Wissenschaftenschreiben ausgeschlossen
169.12.1970 In einem bundesrepublikanischen Verlag erscheint Havemanns Bericht "Fragen, Antworten, Fragen - aus der Biographie eines deutschen Marxisten". (Monat ist mir unbekannt)
223.06.1975 Havemann wird auf Beschluß der SED von der Liste der antifaschistischen Widerstandskämpfer gestrichen


Zitat aus: "Weltall - Erde - Mensch", Ein Sammelwerk zur Entwicklungsgeschichte von Natur und Gesellschaft, Verlag Neues Leben, 3. unveränderte Ausgabe 1955, S. 7-18


DIE EINHEITLICHKEIT VON NATUR UND GESELLSCHAFT

PROF. DR. ROBERT HAVEMANN



Die ersten Menschen, die vor etwa einer Million Jahren lebten, waren schwächliche, hilflose Geschöpfe. Von allen Seiten in ihrer Existenz bedroht, waren sie von Natur schlechter zur Verteidigung ihres Lebens ausgerüstet als irgendein Tier. Weder verfügten sie über reißende Raubtierzähne und scharfe, wuchtige Pranken, noch waren sie aus gezeichnet durch besondere Schärfe ihrer Sinne. Die Natur hatte ihnen auch keine besondere Schnelligkeit des Laufes oder irgend andere körperliche Eigenschaften verliehen, die im Kampf ums Dasein für sie hätten nützlich sein können. Aber trotz solcher unvergleichlichen Benachteiligung in körperlicher Hinsicht gelang es dem Menschen doch, sich schließlich zum mächtigsten aller Lebewesen aufzuschwingen und zum Herrscher über die Natur zu werden. Diesen Sieg verdankt der Mensch zweien, seiner Organe, die ihn zu unübertrefflichen Leistungen befähigten, die sich miteinander, sich wechselseitig beeinflussend, entwickelten und den Akt der Menschwerdung zu eitler Tat des Menschen selbst machten: Hand und Hirn.
Aus Affen wurden Menschen, denkende Wesen, als diese Tiere sich aufrichteten und damit ihre Hände frei machten zum Greifen, zum aktiven Verändern der Natur und damit zum Begreifen der Natur. Wie Friedrich Engels in seiner Schrift "Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen" [1] darlegt, bewirkte die Aufrichtung des Menschen eine Umbildung des Schädels, durch welche das Wachstum des Großhirns ermöglicht wurde. Aber dieses Großhirn wäre trotz seines Wachstums nicht zu dem ausgezeichneten Organ des menschlichen Denkens geworden, wenn nicht gleichzeitig das Zusammenleben der Menschen diesem Gehirn besondere, neue Aufgaben gestellt hätte. Das menschliche Denken entwickelte sich von Anfang an auf der Grundlage der gemeinsamen Arbeit gesellig lebender Wesen; denn die gemeinsame Arbeit machte den Menschen nicht nur durch die Vereinigung der Kräfte viel stärker im Kampf ums Dasein, sondern zwang auch den Menschen zur Entwicklung der Sprache, des für die gemeinsame Arbeit unbedingt notwendigen Verständigungsmittels unter den Mitgliedern der Gemeinschaft.
„Arbeit zuerst, nach und dann mit ihr die Sprache - das sind die beiden wesentlichsten Antriebe, unter deren Einfluß das Gehirn eines Affen in das bei aller Ähnlichkeit weit größere und vollkommenere eines Menschen allmählich übergegangen ist" [2] formuliert es Friedrich Engels. Es ist die Aufgabe, anderen Menschen Mitteilungen zu machen, welche die Bildung von Begriffen erzwingt. Begriffe sind Abbilder der vom Menschen erfaßten, begriffenen Wirklichkeit. Und zwar ist ein Begriff zunächst immer nur entstanden durch Abstraktion von der unendlichen Mannigfaltigkeit aller Erscheinungen. Es war eine große Leistung der ersten Menschengehirne, als zum Beispiel aus der unendlichen Mannigfaltigkeit der Bäume, unter denen keiner dem anderen gleich ist, der allgemeine Begriff „Baum", abstrahiert wurde. Und eben dieser Prozeß der Abstraktion, das heißt des Absehens von den Einzelheiten und Besonderheiten der Erscheinungen und das Erfassen des Wesentlichen, Allgemeinen, den verschiedenen Dingen Gleichen, ist der. Prozeß der Begriffsbildung. Der Mensch konnte aber nichts begreifen, solange er nur ein passiver Teilnehmer des Geschehens der Natur blieb. Erst durch sein aktives Eingreifen, dadurch, daß er sich, selbst mit den Dingen in Beziehung setzte und damit die Dinge veränderte, konnte er in das Wesen der Naturerscheinungen eindringen. Darum liegt eine tiefe Weisheit in dem Wort unserer Sprache: begreifen. Denn begreifen heißt eben nicht nur ein Ding im Kopf begreifen, sich eine Anschauung von ihm bilden, sondern heißt. zugleich das Ding mit den Händen ergreifen und es verändern.
So schuf. der Mensch, der von der Natur als hilfloses Wesen einer Wildnis ausgesetzt war, die nichts Paradiesisches für ihn hatte, eine neue Welt, eine menschliche Welt. Indem er mit seiner Hände Arbeit selbst seine Lebensbedingungen nach seinem Willen veränderte, die Natur korrigierte, schwang er sich auf vom einfachen Benutzer der Natur zu ihrem Beherrscher. Das ist das Wesen des Prozesses der Menschwerdung und der Gesamtentwicklung des Menschengeschlechts: vorwärtszuschreiten aus dem Reich der Notwendigkeit, das heißt der Unterworfenheit, des Ausgeliefertseins, wo der Mensch ein Opfer der Naturgewalten bleibt - vorwärtszuschreiten in das selbstgeschaffene Reich der Freiheit. Und diese Freiheit, die der Mensch sich selbst erschafft, gewinnt er nur durch seine Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten zunächst nur der Natur und schließlich auch durch die Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten seines eigenen gesellschaftlichen Lebens.
So ist das Streben des Menschen nach Entwicklung der Kultur, nach immer weiterschreitenden Verbesserungen seiner materiellen Lebensbedingungen von Anfang an begleitet von einem unersättlichen Streben nach Wissen, nach Einsicht in die geheimsten Zusammenhänge aller Dinge. Es ist das faustische Streben, von dem Goethe sagt:

Daß ich nicht mehr mit saurem Schweiß
zu sagen brauche, was ich nicht weiß,
daß ich erkenne, was die Welt
im Innersten zusammenhält.
Schau alle Wirkenskraft und Samen
und tu nicht mehr in Worten kramen.

In diesem unersättlichen Streben nach Erkenntnis der Naturgestaltete sich der Menschkraft seiner Vorstellung ein allgemeines Weltbild, eine zusammenhängende Vorstellung von allen Dingen, die auch auf Fragen Antwort verheißt, die noch voller Rätsel sind. So entwickelte sich historisch das Weltbild des Menschen als ein getreuer Spiegel seines Wissens, seines Strebens, seiner Unwissenheit und schließlich auch der inneren Widersprüche seines eigenen gesellschaftlichen Lebens. Das Weltbild der primitiven Menschen der Urgesellschaft war magisch und materialistisch zugleich. Die Natur erschien dem Menschen bevölkert mit phantastischen Geistern und Gottheiten. Aber diese Gottheiten wurden vom Urmenschen ebenso als eine objektive Wirklichkeit aufgefaßt wie alle anderen realen Dinge der Natur. Sie stellten nichts anderes dar als die Personifizierung der vom Menschen noch unerkannten Naturgewalten. Der Mensch, der kraft seiner Einsicht und mit seiner Hände Gewalt in die Geheimnisse der Natur vordringt und Dinge nach seinem Willen schafft, konnte sich die Gewalten, denen er unterworfen war, weil er sie noch nicht begriffen hatte, nicht anders vorstellen als gleichfalls mit freiem Willen ausgestattete menschenähnliche höhere Wesen. Das sind die Götter, die Prometheus, das Menschengeschlecht verkörpernd, verhöhnt:

Ich kenne nichts Ärmeres
unter der Sonn' als euch Götter!
Ihr nähret kümmerlich
von Opfersteuern
und Gebetshauch
eure Majestät
und darbtet, wären
nicht Kinder und Bettler
hoffnungsvolle Toren.

Und an Zeus, den Vater aller Götter, gerichtet, heißt es:

Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
die allmächtige Zeit
und das ewige Schicksal,
meine Herren und deine?
Hier sitz' ich, forme Menschen
nach meinem Bilde,
ein Geschlecht, das mir gleich sei,
zu leiden, zu weinen,
zu genießen und zu freuen sich
und dein nicht zu achten,
wie ich
!

Und wie die Geschichte uns lehrt, ging die Menschheit wirklich aus diesem scheinbar so ungleichen Kampf mit den gewaltigen Mächten der Götterwelt schließlich als Sieger hervor. Mit der wachsenden Einsicht des Menschen in die gesetzmäßigen Zusammenhänge aller Naturerscheinungen wurde eine Naturgottheit nach der anderen entthront. Als letzte blieb für einige Jahrtausende die eine Gottheit der monotheistischen Religionen übrig, die nichts anderes darstellt als die nicht weniger naive Personifizierung der Gesamtheit der vom Menschen noch unerkannten Gesetzmäßigkeiten seines eigenen gesellschaftlichen Lebens.
Die ursprüngliche Einheit von Denken und Handeln, Begriff und Natur, Bild und Wirklichkeit, wie sie noch in den Köpfen der Urmenschen bei aller magischen Personifizierung der Naturgewalten existierte, ging erst verloren, als mit dem Fortschritt der menschlichen Kulturentwicklung durch gesellschaftliche Arbeitsteilung sich die Gesellschaft in Ausbeuter und Ausgebeutete spaltete. Die materielle Gewalt der Ausbeuter über die Ausgebeuteten beruhte zu allen Zeiten in einem hohen Maß auch auf dem Besitz besonderer Kenntnisse der gesetzmäßigen Zusammenhänge der Natur. Die Ausbeuter waren darum stets daran interessiert, die ausgebeutete Klasse in, Dumpfheit und Unkenntnis zu erhalten. Die Inkarnation der Macht der Ausbeuter über die Ausgebeuteten stellt der Zauberer, der Medizinmann, der Hohepriester dar, der direkt mit der Gottheit verkehren kann, weil er selber um ihre Natürlichkeit weiß. Aber wo immer sich ein stürmischer Prozeß der Entwicklung der Produktion vollzog und eine neue Klasse die Macht der alten herrschenden Klasse zu brechen unternahm, mußte die neue Klasse sich im Kampf in den Besitz all dieser wohlgehüteten. Geheimnisse setzen und den Schleier der Göttlichkeit von den Götzenbildern reißen.
So verbanden sich in allen revolutionären Epochen, in denen eine stürmische Entwicklung und Veränderung der gesellschaftlichen Produktionsmethoden vor sich ging, die vorwärtsstrebenden Kräfte der Gesellschaft mit dem Materialismus. So war es auch in der Renaissance, „jener gewaltigen Epoche, die den Feudalismus durch das Bürgertum brach" und von der Engels weiterhin sagt: „Auch die Naturwissenschaft lebte und webte in dieser Revolution, war revolutionär durch und durch, ging Hand in Hand mit der erwachenden modernen Philosophie der großen Italiener und lieferte ihre Märtyrer auf die Scheiterhaufen und in die Gefängnisse. Es ist, bezeichnend, daß Protestanten wie Katholiken in ihrer Verfolgung wetteiferten. Die einen verbrannten Server, die anderen Giordano Bruno. Es war eine Zeit, die Riesen, brauchte und Riesen hervorbrachte, Riesen an Gelehrsamkeit, Geist und Charakter, die Zeit, die die Franzosen richtig die Renaissance, das protestantische Europa, einseitig borniert, die der Reformation benannten." [3]
Heute ist das einst revolutionäre Bürgertum zur absterbenden Klasse einer untergehenden Gesellschaftsordnung entartet. Nichts blieb von dem Kampf gegen den phantastischen Glauben der Kirche. Die hohen Ideale der bürgerlichen Revolution wurden über Bord geworfen.
Aber unaufhaltsam schreitet die Entwicklung der Menschheit voran. Wieder bewegen die Menschen neue revolutionäre Kräfte, die sich gesetzmäßigerweise mit den materialistischen Grundlagen der Menschenentwicklung verbinden. Je mehr dies geschieht, werden, wie Friedrich Engels sagt: "... sich die Menschen wieder als eins mit der Natur nicht nur fühlen, sondern auch. wissen, und je unmöglicher wird jene widersinnige und widernatürliche Vorstellung von einem Gegensatz zwischen Geist und Materie, Mensch und Natur, Seele und Leib, wie sie seit dem Verfall des klassischen Altertums in Europa aufgekommen ist und im Christentum ihre höchste Ausbildung erhalten hat". [4]
Die moderne Naturwissenschaft, die sich auf materialistischer Grundlage entwickelte, gelangt heute zu den gleichen philosophischen Positionen, die schon von den großen griechischen Philosophen errungen wurden und in den Wortendes Heraklit unvergleichlichen Ausdruck finden: „Die Welt, eine und dieselbe aus allem, hat keiner der Götter noch Menschen gemacht, sondern sie war und ist und wird sein ewig lebendes Feuer, nach Maß sich entzündend und nach Maß erlöschend." [5]
Wie in jeder echten Wissenschaft sind auch in der Naturwissenschaft Theorie und Praxis unlösbar miteinander verbunden. Weil es unmöglich ist, den Zusammenhang der Dinge zu erkennen, ohne selbst mit den Dingen in Zusammenhang zu treten; weil wir die Gesetzmäßigkeiten der Natur nicht anders erkennen können als dadurch, daß, wir den Versuch unternehmen, die Natur zu verändern; weil erst das wirklich erkannt und begriffen ist, was die unbestechliche Probe der Praxis bestanden hat, darum sind Theorie und Praxis in der Naturwissenschaft voneinander untrennbar. Die Naturwissenschaften stellen die Theorie der Produktionstechnik des Menschen dar, während die Produktionstechnik umgekehrt die Praxis der naturwissenschaftlichen Theorie ist. Auf diese Weise sind die Naturwissenschaften mit den mächtigsten revolutionären Kräften verbunden, die in der menschlichen Gesellschaft wirksam sind, mit den Produktivkräften.. In dieser Tatsache liegt begründet, warum die Naturwissenschaften seit jeher von urwüchsigem materialistischem Geist durchdrungen sind, wie Lenin sich ausdrückt. Wenn es auch heute viele und darunter bedeutende Naturforscher gibt, die sich selbst nicht für Materialisten halten, so sind diese Naturwissenschaftler doch in ihrer Arbeit im Laboratorium urwüchsige Materialisten und geben sich nur sonntags, wenn die Arbeit ruht, zum Zwecke der Erbauung theologischen und idealistischen Spekulationen hin. Schon Engels sagte: „Gott wird nirgends schlechter behandelt als bei den Naturforschern, die an ihn glauben.« [6] Und, selbst Isaac Newton, der Schöpfer der klassischen Mechanik, benötigte bei seinen physikalischen Betrachtungen ein göttliches Wesen nur zur scheinbaren Lösung eines tiefen inneren Widerspruchs seiner Physik, eines Widerspruchs, der erst durch die moderne relativistische Mechanik gelöst wurde, diesmal allerdings gänzlich ohne Zuhilfenahme eines göttlichen Wesens.
Es handelt sich um das Problem der Zeit und der Gleichzeitigkeit im unendlichen Raum. Newton war sich der Problematik des klassischen Zeitbegriffs wohl bewußt. Er mußte den Schöpfer aller Dinge zu Hilfe rufen, der als einzige Aufgabe zugewiesen erhielt, die Rolle eines allmächtigen Beobachters zu spielen, dessen beide Augen gleichzeitig die Vorgänge an unendlich entfernten Orten des Weltalls wahrzunehmen und dem göttlichen Bewußtsein zugänglich zu machen fähig sind.
Der Materialismus der klassischen Epoche der Naturwissenschaft, die mit Newton anhebt und gegen Ende des vorigen Jahrhunderts zu unlösbaren Widersprüchen auf vielen Gebieten der Wissenschaft führt, war ein mechanischer Materialismus. Diesem verknöcherten Materialismus, der, wie Engels sagt, noch tief in der Theologie steckt, erschien die Natur als ein „Hebelwerk mit Rädern und mit Schrauben", als eine Mechanik von Körpern und Massenpunkten, in der es keine Qualität, sondern nur Quantität gibt. Dem mechanischen Materialismus erschien alles reduzierbar auf die Bewegung kleinster Teilchen, die, überall in der Welt nach ewig gleichem und unveränderlichem Gesetz sich bewegend, zu Anbeginn durch einen ersten göttlichen Anstoß in Bewegung gesetzt, bis in die Unendlichkeit ihren Lauf vollziehen. Das Komplizierte, das Höherorganisierte, die belebte Natur, der Mensch und die Menschenkultur, das alles erschien schließlich reduziert auf die Bewegung der Atome und Moleküle. Charakteristisch für diesen mechanischen Materialismus ist ein naiver Glaube an einen metaphysischen, starren und unbedingten Determinismus. Über diesen Determinismus macht sich Engels in köstlicher Weise mit den Worten lustig: ". . . daß mich vorige Nacht ein Floh um vier Uhr morgens gebissen hat und nicht um drei oder fünf, und zwar auf die rechte Schulter, nicht aber auf die linke Wade, alles das ist eine unverrückbare Verkettung von Ursache und Wirkung, durch eine unerschütterliche Notwendigkeit hervorgebracht .. , so zwar, daß bereits der Gasball, aus dem das Sonnensystem hervorging, derart angelegt war, daß diese Ereignisse sich so und nicht anders zutragen mußten".. [7] Diese naive Vorstellung von der Gesetzmäßigkeit der Natur und von der Beziehung zwischen Zufälligkeit und Notwendigkeit ist charakteristisch für den mechanischen Materialismus. Andererseits darf man nie vergessen, daß die großen Errungenschaften der klassischen Physik undenkbar wären, wenn nicht gerade dieser relativ primitive Materialismus ihre philosophische Grundlage gewesen wäre. Die Philosophie des Heraklit von Ephesos war diesem mechanischen Materialismus turmhoch überlegen. Aber doch bedurfte es historisch des mechanischen Materialismus, um das ungeheure Material an Zahlen und empirischen Daten zu erarbeiten, damit die, Grundlagen einer modernen Wissenschaft wirklich geschaffen werden konnten. Die Dialektik der ionischen Naturphilosophen, für die die Welt etwas Gewordenes, aus dem Chaos Hervorgegangenes darstellte, war doch nicht fähig, die sachliche und mühevolle Kleinarbeit der wissenschaftlichen Tatsachenforschung bereits zu ihrer Zeit in Gang zu setzen, wenngleich einige außerordentliche Einzelleistungen zu verzeichnen sind, wie zum Beispiel die Messung des Erdradius mit einem Fehler von nur einem Prozent.
Es ist kein Zufall, daß zugleich mit der zunehmenden Verschärfung der Widersprüche in der kapitalistischen Gesellschaft in der Naturwissenschaft ein Entwicklungsstand erreicht wird, in dem sich die Unzulänglichkeit des mechanischen Materialismus offenbart. Und es ist weiterhin kein. Zufall, daß in dieser Zeit, in der, wie Lenin sagt, „die moderne Physik im Begriff steht, den dialektischen Materialismus zu gebären" [8], von seiten zahlreicher reaktionärer Philosophen und- Ideologen ein neuer scharfer Angriff auf die materialistischen Grundlagen der Naturwissenschaft eröffnet wird. Die längst verstaubten Ideen des englischen Bischofs Berkeley aus dem Jahre 1710 werden seit Mach und Avenarius in immer neuer Maskerade als angeblich allerneueste, streng wissenschaftliche Philosophie der modernen Naturwissenschaft angepriesen. Und sie dienen doch alle, einschließlich der Sophismen ihrer neuesten Vertreter, der englischen Modephilosophen Bertrand Russell, Wittgenstein und Carnap, keinem anderen Zweck als der Zerstörung der materialistischen philosophischen Grundlage der Naturwissenschaft.
Während der Materialismus die Existenz der Natur als objektive Realität anerkennt, die unabhängig von unserem Bewußtsein war und ist und sein wird, versuchen diese Vertreter des subjektiven Idealismus uns weiszumachen, es gäbe gar keine wirklichen. Dinge. Nur die von jedem einzelnen Menschen erlebten Empfindungen und Sinneseindrücke seien die einzigen unbezweifelbaren Tatsachen, mit denen sich die Wissenschaft zu beschäftigen habe. Während die Naturwissenschaft auf materialistischer Grundlage zur Erkenntnis der objektiven Gesetzmäßigkeiten der Erscheinungen gelangt, versuchen diese Vertreter einer allerneuesten Philosophie zu beweisen, die ganze naturwissenschaftliche Theorie sei nur ein System der Schemata und Formeln zur zweckmäßigsten Ordnung unserer sinnlichen Wahrnehmungen und Empfindungen. In Wirklichkeit aber bestätigen gerade die Ergebnisse der modernen Naturwissenschaft die materialistische Philosophie und damit die Einheitlichkeit der gesamten Wirklichkeit. Die Widersprüche, in die der mechanische Materialismus geriet, finden ihre naturwissenschaftliche und erkenntnismäßige Deutung auf der Grundlage des dialektischen Materialismus. Der erste große Einbruch in das mechanische Denken der klassischen Naturwissenschaften erfolgte auf dein Gebiet der Biologie durch die genialen Gedanken des großen Charles Darwin. Darwin bewies, daß nichts unsinniger ist als die Vorstellung eines einmaligen Schöpfungsaktes aller Arten und Gattungen von Lebewesen, die seit dem Tage der Schöpfung unverändert existiert haben sollen. Darwin führte den dialektisch-materialistischen Entwicklungsgedanken in die Biologie ein. Seit Darwin wissen wir, daß Pflanzen und Tiere in einem langen Entwicklungsprozeß sich von Stufe zu Stufe von einfachen zu höheren und immer komplizierteren Formen weiterentwickelt haben und daß auch der Mensch nichts anderes darstellt als die Fortsetzung des allgemeinen biologischen Entwicklungsprozesses.
Die großen wissenschaftlichen Theorien, die um die Jahrhundertwende einen Umsturz auf dem Gebiet der Physik hervorriefen, die Relativitätstheorie Einsteins und die Quantentheorie Max Plandis, führten gleichfalls zu großartigen Bestätigungen der Thesen des dialektischen Materialismus. Die Relativitätstheorie bewies die Einheit von Raum, Zeit und Materie. Die moderne Quantenmechanik hat uns einen tiefen Einblick in die Gesetzmäßigkeiten von Quantität und Qualität gegeben. Dem klassischen mechanischen Denken war der Begriff der Qualität fremd. Alle Qualität wurde auf Quantitäten zurückgeführt. Der dialektische Zusammenhang zwischen Quantität und Qualität wird durch die moderne Naturforschung in nahezu unendlicher Mannigfaltigkeit bestätigt. Der durch die Quantenmechanik präzisierte Begriff der Wechselwirkung und die sogenannten kritischen Größen bringen dies zum Ausdruck.
Betrachten wir zum Beispiel den Prozeß der Verdampfung einer Flüssigkeit: Wir können der Flüssigkeit dauernd Wärme zuführen, ohne daß die Flüssigkeit zum Sieden gebracht wird, solange der Siedepunkt nicht erreicht ist. Erst wenn diese kritische Temperatur durch ständige quantitative Zufuhr von Wärme überschritten wird, tritt der neue Prozeß des Siedens ein. Der Siedepunkt ist eine kritische Größe und stellt einen Knotenpunkt dar, an dem die Qualität der ruhenden Flüssigkeit in die neue Qualität der siedenden Flüssigkeit umschlägt. Aber auch der Verdampfungsprozeß, im molekularen Maßstab betrachtet, bestätigt uns das Gesetz des Umschlagens der Quantität in die Qualität. Nur solche Moleküle der Flüssigkeit können die Phasengrenze zwischen flüssiger Phase und Gasphase überschreiten, die die hierzu erforderliche Mindestenergie mitbringen. Der Energieinhalt eines verdampfenden Moleküls muß den Mindestbetrag decken, der zur Überwindung der in der Grenzfläche wirksamen Anziehungskraft erforderlich ist. Den gleichen Prozeß beobachten wir zum Beispiel an den Glühkathoden der Radioröhren. Die Elektronen müssen beim Austritt aus der Glühkathode eine ganz bestimmte Austrittsarbeit leisten. Alle Elektronen, die diese Energiemenge nicht mitbringen, können die Glühkathode nicht verlassen. Einen gleichartigen Begriff finden wir in der Theorie der chemischen Reaktionsgeschwindigkeiten. Dort ergab sich, daß nur solche Moleküle eine chemische Reaktion miteinander eingehen können, die von vornherein eine bestimmte Mindestenergiemenge mitbringen: die sogenannte Aktivierungsenergie. Moleküle, deren Energieinhalt kleiner als diese charakteristische Aktivierungsenergie ist, reagieren nicht miteinander, auch wenn sie zusammenstoßen.
Der dialektische Grundzug des allgemeinen Zusammenhangs aller Erscheinungen findet überall in der modernen Naturwissenschaft Bestätigung. In besonders großartiger Weise wird der Zusammenhang aller Erscheinungen in der Relativitätstheorie nachgewiesen. In der klassischen Mechanik erschienen Raum und Zeit als absolute, von der Materie unabhängige Realität. Die Relativitätstheorie hat jedoch nachgewiesen, daß Raum und Zeit in Metrik und Ablauf durch die Materie und ihre Bewegung bestimmt werden. Der Entwicklungsgedanke, das Prinzip des unaufhaltsamen Fortschreitens aller Naturprozesse, bei welchem es kein Rückwärts geben kann, wird auch durch die klassische Thermodynamik bestätigt. Die klassische Thermodynamik lehrt, daß alle natürlichen Prozesse irreversibel sind, das heißt nicht vollständig rückgängig gemacht werden können. Die Thermodynamik ermöglicht es sogar, ein objektives Maß für die Irreversibilität jedes Naturprozesses anzugeben. Dieses Maß ist die sogenannte Entropie. In Bestätigung des zweiten Grundzuges der Dialektik stellt die Thermodynamik fest, daß die Entropie (in sogenannten abgeschlossenen Systemen) bei keinem Prozeß der Natur abnehmen kann, sondern vielmehr ständig zunehmen muß. Eine Rückkehr zu Zuständen geringerer Entropie, also zu allen früheren Zuständen, ist unmöglich.
Mit Recht können wir Deutsche stolz darauf sein, daß der dialektische Materialismus, diese einzige wissenschaftliche Philosophie, von zwei Deutschen geschaffen wurde, von Karl Marx und Friedrich Engels. Zum Unterschied von allen vergangenen philosophischen Lehren stellt der dialektische Materialismus kein System von Dogmen dar, sondern nur die Widerspiegelung der, objektiven Dialektik von Natur und Gesellschaft in der subjektiven Dialektik der menschlichen Erkenntnis: Der dialektische Materialismus besteht darum in erster Linie in der konsequenten Anwendung der dialektischen Methode, um die Wirklichkeit auf materialistischer Grundlage zu erkennen. Darum ist diese Philosophie, wie jede echte Wissenschaft, in ständiger Weiterentwicklung begriffen. Die allgemeinen Grundzüge der Dialektik, die von Stalin in genialer Weise formuliert wurden, stellen allgemeinste Aussagen, Abstraktionen dar. Ihr wahrer Inhalt tritt jedoch nur hervor, wo wir ihre Bedeutung und Gültigkeit an Beispielen aus der Wirklichkeit nachweisen und erkennen. Und in jedem solchen Beispiel, in jeder solchen wissenschaftlich ergründeten Erscheinung offenbart die Natur nicht nur von neuem, die ihr innewohnende Dialektik, sondern fügt unserem dialektischen Denken zugleich eine neue Bereicherung hinzu, vertieft die subjektive Dialektik und enthüllt eine neue innere Wahrheit der Dialektik.
Weder die Natur noch die Gesellschaft offenbaren unserer Wahrnehmung unvermittelt ihren wahren Charakter. Weil wir durch Unwissenheit behindert und in gesetzmäßig bedingten Vorurteilen befangen sind, nehmen wir statt der Wirklichkeit der Dinge und der Gesellschaft nur einen Schein von ihnen wahr. Wissenschaftliche Erkenntnis heißt also: den trügerischen Schein durchdringen und zur unverfälschten Wirklichkeit vorstoßen.
Wenn wir die drei großen Hauptperioden der historischen Entwicklung der Ausbeutergesellschaften betrachten, die Sklaverei, den Feudalismus und den Kapitalismus, so stellen wir von Stufe zu Stufe dieser Entwicklung eine fortschreitende Verhüllung des Ausbeutercharakters dieser Gesellschaftsordnung fest. Mehr und mehr tritt im Bewußtsein der Ausgebeuteten ein trügerischer Schein an die Stelle der Wirklichkeit. Während in der Sklaverei die Ausbeutung noch kraß und unverhüllt erkennbar ist, scheint sie im Feudalismus auf die Fron beschränkt, und schließlich im Kapitalismus scheint sie wegen des scheinbar freien Arbeitsvertrages mit Bezahlung jeder Leistung nach Dauer und Inhalt gänzlich beseitigt zu sein. Der Kapitalismus, die historisch letzte und zugleich höchstentwickelte Etappe der Ausbeutergesellschaft, bedarf der Verhüllung ihres wahren Charakters als einer Bedingung ihrer Existenz. Darum erzeugt der Kapitalismus in der Phase seines Untergangs, wo der revolutionäre Kampf gegen seine Fundamente eröffnet wird, auch auf dem Gebiete der Wissenschaft eine Ideologie, die die Verhüllung der Wirklichkeit zum Ziele hat und an die Stelle der Wirklichkeit der Dinge deren Schein zu setzen sucht. Diese Ideologie nennen wir den „physikalischen" Idealismus.
Schein und Wirklichkeit sind verschieden, und doch stehen sie beide in einem engen Zusammenhang miteinander. Das Ziel der Wissenschaft ist nicht nur, den Schein zu überwinden und die Wirklichkeit zu erkennen, sondern auch die Gesetzmäßigkeiten zu erfassen, die das Zustandekommen des Scheins bedingen. Die Erde ist keine Ebene, wie es den Anschein hat, sondern eine Kugel und der sich über uns wölbende Himmel kein flach hingestrecktes Gewölbe, sondern unendliche Ferne des Weltenraumes. Ein schräg gehaltenes Geldstück ist nicht oval, sondern kreisförmig. Und wenn wir im Fieberanfall frieren, so nicht deswegen, weil es kälter wird, sondern weil unsere Körpertemperatur steigt. An unzähligen solchen Beispielen kann man zeigen, wie die wissenschaftliche Erkenntnis vom Schein zur Wirklichkeit vorstößt und zugleich die Gesetzmäßigkeiten des Scheins erkennt. Die Gesetzmäßigkeiten des Scheins beruhen keineswegs, wie man vielleicht annehmen könnte, auf bestimmten Fehlern unserer Sinnesorgane, die zu Sinnestäuschungen führen. Sie beruhen vielmehr darauf, daß wir bei jeder Wahrnehmung notwendigerweise von ganz bestimmten, bereits gebildeten Vorstellungen ausgehen. Die sinnlichen Eindrücke sind, für sich betrachtet, inhaltlos, wenn nicht zu ihnen die bereits erworbene Erfahrung hinzutritt. Der Schein der Dinge hängt also sowohl mit den Gesetzmäßigkeiten der wirklichen Vorgänge als auch mit unseren vorgefaßten Meinungen zusammen. Das Menschengeschlecht lernt, von Stufe zu Stufe seiner Entwicklung steigend, mit wachsender Erkenntnis zugleich die Wahrnehmung der Wirklichkeit immer weiter zu vervollkommnen. Mit Zunahme unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse machen wir uns immer mehr von den uns durch die Natur gegebenen Sinnesorganen unabhängig und erschließen uns das Verständnis von Erscheinungen, die nur indirekt auf unsere Sinnesorgane wirken. Da, wie der erste Grundzug der Dialektik lehrt, alle Erscheinungen der Natur miteinander in unlösbarem Zusammenhang stehen, liegt in der Beschränktheit unserer sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit keinerlei Schranke für den Fortschritt unserer Erkenntnis.
Der wesentliche Inhalt wissenschaftlicher Erkenntnis sind also die allgemeinen gesetzmäßigen Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Dingen und Erscheinungen, die wir durch Abstraktionen aus unzähligen einzelnen, besonderen Vorgängen zu erkennen vermögen. Die Positivisten und Logistiker vom Schlage eines Bertrand Russell oder Carnap wollen gerade das Gegenteil als das Ziel der wissenschaftlichen Bestrebungen hinstellen. Sie behaupten, das einzig Wesentliche seien die einzelnen sinnlichen Wahrnehmungsakte. Sie allein seien die Realität. Der wissenschaftlichen Aussage über die den Dingen innewohnende Gesetzmäßigkeit messen sie nur einen heuristischen Wert bei. Die wissenschaftliche Theorie erniedrigen sie auf einen denkökonomischen Formalismus zur erschöpfenden Verknüpfung sinnlicher Wahrnehmungsakte. Die Wahrheit irgendeiner Aussage darüber, wie die Welt wirklich beschaffen ist, wird von ihnen grundsätzlich bestritten. Mit einem Wort: Ihre Philosophie erkennt nur den Schein an und bestreitet vollständig die Existenz der Wirklichkeit. Diese ganze Philosophie ist nichts weiter als eine besondere Ausdrucksform der gesellschaftlichen Ideologie des untergehenden Kapitalismus. Im Grunde stehen seine Ideologen mit den Medizinmännern und Hohenpriestern der vergangenen Ausbeuterklassen auf einer Stufe. Weil sie ahnen, daß die Wirklichkeit ihr Untergang sein wird, wollen sie die Wirklichkeit nicht anerkennen.
Die wissenschaftsfeindliche Philosophie des „physikalischen" Idealismus hat also tiefe soziale und ökonomische Wurzeln. Deshalb ist es auch verständlich, daß man den Verfall der Wissenschaft in den kapitalistischen Ländern nicht nur auf einer ideologischen Grundlage erklären kann. Solche Wissenschaften, an deren Ergebnissen der Kapitalismus im Interesse der Steigerung seiner Profite noch stark interessiert ist, werden weniger stark in ihrer Entwicklung beeinträchtigt als andere Wissenschaften, für deren Ergebnisse jedes Interesse seitens der Kapitalisten erloschen ist. Aus diesem Grunde hat sich der wissenschaftliche Verfall besonders stark auf dem Gebiet der biologischen Wissenschaften ausgewirkt.
In den großen kapitalistischen Ländern, wie besonders in den USA, besteht seit vielen Jahrzehnten eine ständige Agrarkrise. Die landwirtschaftliche Produktion wird von Jahr zu Jahr eingeschränkt. Große Mengen landwirtschaftlicher Produkte werden mit Staatsmitteln jährlich aufgekauft, um einen Zusammenbruch der Preise zu verhindern, welcher sich bedrohlich auf alle Zweige der kapitalistischen Wirtschaft auswirken würde. Nahrungs- und Genußmittel und landwirtschaftlich erzeugte Rohstoffe werden massenhaft vernichtet. An der Entwicklung der Biologie, der für die Landwirtschaft entscheidenden Wissenschaft, besteht also kaum noch ökonomisches Interesse. Das Ergebnis ist zunächst ein Stagnieren dieser Wissenschaften. Aber gleichzeitig macht der Kapitalismus von diesen Wissenschaften einen anderen Gebrauch. Er stellt sie in den Dienst seines ideologischen Kampfes zur Verhüllung der gesellschaftlichen Zusammenhänge. Der deutsche Faschismus und der neue USA-Faschismus entwickeln auf diese Weise aus ihrer Biologie den Rassismus, die Lehre vom Herrenmenschen und von der biologischen Gerechtigkeit der sozialen Ungerechtigkeit. Die amerikanischen Vertreter der Landwirtschaftswissenschaften haben den Beweis zu führen, daß der Hunger in der Welt nicht eine Folge der kapitalistischen Mißwirtschaft, sondern der zu starken Vermehrung der Menschen sei. Die unmenschlichen, Lehren von Malthus werden der Vergessenheit entrissen und als moderne Theorie der Landwirtschaftswissenschaften propagiert. Die Lehre von der geometrischen Progression der Vermehrung der Menschheit wird zur Rechtfertigung der imperialistischen Kriege herangezogen, deren biologische Aufgabe darin gesehen wird, den „schädlichen« Überschuß an. Menschen zu vernichten. Dieselben Kreise, welche Jahr für Jahr ungeheure Mengen von lebenswichtigen Nahrungsmitteln vernichten, bedrohen die Hungrigen, die diese Nahrungsmittel nicht kaufen können, mit der physischen Vernichtung.
Das humanistische Ziel der produktiven Tätigkeit des Menschen ist die Vermehrung der Güter, des Wohlstandes, die Hebung des Lebensstandards aller Menschen, die Befreiung der Menschheit von Krankheit und Not. Der verfallende Kapitalismus hat es fertiggebracht, mit seiner produktiven Tätigkeit das entgegengesetzte Ziel zu verfolgen: die Verarmung der Massen, die Sicherung immer steigender Profite für eine winzige Minderheit, Zerstörung der Kultur und Vernichtung des Lebens von Millionen in den imperialistischen Kriegen. Die großen neuen Entdeckungen der Wissenschaft, insbesondere die Entdeckung der Atomenergie, kann der Kapitalismus nicht mehr zum Segen der Menschheit anwenden. Für ihn ist nur die eine Möglichkeit geblieben, sie zur tödlichen Gefahr für die Existenz der menschlichen Kultur werden zu lassen. In den USA gibt es keine Möglichkeit der wirtschaftlichen Anwendung der Atomenergie. In diesem Lande führen neue technische Errungenschaften nur zu erbitterten Kämpfen der Kapitalisten untereinander. Eine solche ungeheure technische Errungenschaft wie die Atomenergie ist für den Kapitalismus überhaupt vollständig „unökonomisch". In den USA erzeugt man elektrische Energie nicht nur aus Kohle, Erdöl und durch Wasserkraft, sondern auch durch Verbrennung von "überschüssigem" Weizen. In einem Lande, in dem die Erzeugung von Kilowattstunden durch Verbrennung von Weizen "ökonomisch" ist, ist die Erzeugung von Energie aus Uran oder Wasserstoff vollständig unökonomisch.
Zum Segen für die Menschheit besteht in der Welt jedoch eine große Macht, die den Kapitalismus hindert, seine barbarischen Absichten zu verwirklichen: die friedlichen demokratischen Staaten mit der Sowjetunion an der Spitze. Während in der Vergangenheit die imperialistischen Kriege wohl das Leben der Völker bedrohten, nicht aber den sofortigen Untergang des Weltimperialismus heraufbeschworen, hat sich mit dem zweiten Weltkrieg das Kräfteverhältnis entscheidend verändert. Zwar wünschen die aggressiven, kriegslüsternen Kreise in der USA und den westlichen Ländern nichts sehnlicher als die Vernichtung des Friedenslagers und der Sowjetunion in einem dritten imperialistischen, Weltkrieg; aber nicht nur die gewachsene und unaufhörlich wachsende militärische Stärke des Friedenslagers, sondern auch der durch die internationale Friedensbewegung mobilisierte Widerstand der Volksmassen in allen Ländern der Welt zerschlägt die Pläne der Imperialisten. Während das Streben der Imperialisten, untereinander Krieg zu führen, zunimmt und ihr gemeinsamer Haß gegen die Sowjetunion und das Friedenslager unaufhörlich wächst, vermindern sich ihre faktischen Möglichkeiten, ihre Ziele zu erreichen, immer mehr. So sind die Kapitalisten gezwungen, die Möglichkeit des friedlichen Nebeneinanderbestehens der beiden Systeme, des Kapitalismus und des Sozialismus, wohl oder übel zuzugestehen. Denn das Lager des Friedens hat nicht die Absicht, die Menschheit mit den Mitteln der Gewalt und des Krieges von der Richtigkeit ihres Weges zu überzeugen. Getreu den materialistischen Grundzügen der Philosophie und der Politik von Marx, Engels, Lenin und Stalin hat sich das Friedenslager zum Ziel gesetzt, die Massen der Menschen in allen Ländern der Welt durch sachliche Argumente zu überzeugen. Diese sachlichen, materiellen Argumente, vor deren Überzeugungskraft sich am Ende niemand verschließen kann, werden durch die gemeinsame Anstrengung der Arbeiter und Bauern und aller Werktätigen geschaffen.




[1] Friedrich Engels, "Dialektik der Natur", Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 179

[2] Ebenda, S. 183

[3] Ebenda, S. 205

[4] Ebenda, S. 191

[5] Geschichte der KPdSU, Kurzer Lehrgang, Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 140

[6] Friedrich Engels, "Dialektik der Natur", Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 213

[7] Ebenda, S. 183

[8] W.I. Lenin, "Materialismus und Empiriokritizismus" , Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 304