Auszüge aus veröffentlichter Sekundärliteratur zum Mosaik von Hannes Hegen . Diese Zitate sollen die Diskussion der Heftbesprechungen im Digedags-Forum unterstützen. Der Text wurde Printmedien entnommen, Flüchtigkeits- und Übertragungsfehler bitte ich unkommentiert zu entschuldigen. Hier geht es zur Hauptseite: www.mosafilm.de
Zitat aus: Hartmut Kasper in: »Das Science Fiction Jahr 2004«, S.769-772, Heyne 2004


Der Weltraumhumorserienwettlauf - ost-west-deutsche Sektion
Science Fiction in deutschen Funnies und Semi-Funnies (Teil 1)

Der Mann des Jahrhunderts - ein Physiker aus Ulm

Versetzen wir uns in die 1950er Jahre.
Albert Einstein, der in Ulm gebürtige deutsche Physiker, stirbt am 18. April 1955 in Princeton. Mit seinen bahnbrechenden Relativitätstheorien von 1905 und 1915 hatte Einstein seinen Beitrag zur Entwicklung der Physik geleistet; mit seinem Brief vom 2. August 1939 an den US-amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt hatte er die Nukleartechnologie befördert. In diesem Schreiben hatte er auf die Möglichkeit hingewiesen, dass deutsche Wissenschaftler des Kaiser-Wilhelm-Instituts Uranwaffen entwickeln könnten: »Eine einzige Bombe dieser Art, in einem Hafen zur Explosion gebracht, vermag sehr wohl den ganzen Hafen und seine Umgebung zu vernichten.« Auf diese Mahnung hin wurde das Manhattan-Projekt in Gang gesetzt, dessen Ziel die funktionstüchtige Atombombe war.

Einstein war Pazifist - »Heldentum auf Kommando, sinnlose Gewalttat und die leidige Vaterländerei, wie glühend hasse ich sie, wie gemein und verächtlich erscheint mir der Krieg«; zur Eindämmung der Kriegsgefahr empfahl er die Einrichtung einer Weltregierung und massenhafte Wehrdienstverweigerung; Attacken vaterlandsverliebter deutscher Damen sowie die Aufforderung der amerikanischen »Organisation der patriotischen Frauen«, ihn als ausgekochten Kommunisten gar nicht erst in die USA einreisen zu lassen, konterte er mit dem Vorschlag, die »patriotischen Weiblein« jeder Nation einmal probeweise selbst an die Front zu schicken: »warum sollten solche heroischen Gefühle von seiten des schönen Geschlechts nicht pittoresker verwendet werden als durch einen Angriff auf einen wehrlosen Zivilisten« mit Namen Einstein?
Immerhin war Einstein von den USA beeindruckt, in die er 1933 einreist und deren Staatsbürger er 1940 wird. Als »Erste Eindrücke« hatte er notiert: »Was den Besucher zuerst mit Staunen erfüllt, ist die Überlegenheit dieses Landes in technischer und organisatorischer Beziehung. ... Die Vereinigten Staaten sind heute das mächtigste technisch fortgeschrittene Land der Erde.«
Und wenn schon nicht in die Technik, so setzte er doch in die sie hervorbringende Wissenschaft Hoffnungen: »Bei den politischen, ja, sogar bei den religiösen Führern ist es zweifelhaft, ob sie mehr Gutes oder Schlechtes bewirkt haben. Ich glaube daher allen Ernstes, dass man den Menschen am besten dient, indem man sie mit einer edlen Sache beschäftigt und dadurch indirekt veredelt. Dies gilt in erster Linie von den bedeutenden Künstlern, in zweiter Linie aber auch von den Forschern.«
Dabei sieht er - im Jahr 1950 - durchaus: Der wissenschaftliche Mensch »ist auch wohl bedrückt darüber, dass seine Forschungsergebnisse eine akute Bedrohung der Menschheit mit sich gebracht haben, nachdem die Früchte dieser Forschung in die Hände seelenblinder Träger der politischen Gewalt gefallen sind ... er weiß, dass nur die Ablösung der Methoden der nackten Gewalt durch eine übernationale Rechtsordnung die Menschen noch retten kann. ... Wenn der wissenschaftliche Mensch unserer Tage Zeit und Mut fände, seine Situation und seine Aufgabe ruhig und kritisch zu erwägen und entsprechend zu handeln, so würden die Aussichten auf eine vernünftige und befriedigende Lösung der gegenwärtigen gefahrvollen internationalen Situation wesentlich verbessert werden.

Albert Einstein stirbt am 18. April 1955. Man hat ihn den ersten Pop-Star der Wissenschaft genannt (als Nachfolger in diesem Amt fungiert bekanntlich Stephen Hawking). Die Hauptmotive seiner Weltsicht gehen denn auch in die utopischen Ideale der Populärkultur der Nachkriegszeit über: Demnach sei den Politikern wie den Religionsführern zu misstrauen, der wahre Kandidat für die fällige Menschheitsveredelung sei der Wissenschaftler, der jedoch in einem Dilemma stecke: Was seiner Forschung an Technik entspringt, wird von den Politikern missbraucht. Inbild dieser technischen Fruchtbarkeit ist die Nukleartechnologie. Die Nationalstaatlichkeit erscheint als Relikt und gehört durch eine transnationale Organisation abgelöst.

Extrahiert man die Grundmotive dieser Vision heraus, erhält man etwas wie einen Erzählkern für frühe deutschsprachige Science Fiction der Nachkriegszeit: Der Wissenschaftler rettet die Welt vor der atomaren Vernichtung und eint sie bei dieser Gelegenheit – und die gelegentliche Anrufung des Namens »Einstein« bürgt für moralische wie technische Fortschrittlichkeit.
Nach dem Krieg gesellen sich mehrere neuere populäre Medien zum traditionellen Ensemble, darunter die Comics und die Zukunftserzählung mit angloamerikanischem Touch, die Science Fiction. Comics sind zwar, wie erinnerlich, in den 1950er und 1960er Jahren nicht unbedingt das Lieblingskind der bürgerlichen Kunstkritik, und das gilt auch für die Science Fiction.
Eine Kombination beider hatte also auch nur geringe Aussicht, zum Favoriten der Kunsterzieher und Medienpädagogen aufzusteigen. In etwas milderem Licht erschienen zwei Sub-Genres der Comics, das humoristische Funny und das Semi-Funny.

Ich will es an dieser Stelle einfach machen und diese beiden Gattungen schnell und gebrauchsfertig definieren: Das Funny ist ein humoristischer Comic, in dem menschliche oder vermenschlichte Tierfiguren agieren: Enten, Gänse (wie in »Donald Duck«), Mäuse (wie in »Micky Maus« oder »Fix und Fax«) oder Füchse und Wölfe (wie in »Fix und Foxi« oder »Lupo«). Im Semi-Funny wie beispielsweise »Tim und Struppi« oder »Lucky Luke« treten überwiegend karikaturistisch vereinfachte, sonst aber an der Realität orientierte Menschenfiguren auf, die humoristisch-spannende Abenteuer erleben.
Die bürgerliche Gegenwehr gegen Comics muss an dieser Stelle auch nicht dramatisiert werden, wie auch die Gegenwehr gegen diese Gegenwehr durch fleißiges Kaufen und Lesen der wunderbaren Schau- und Leseware nicht heroisiert werden soll: Es ist eine Art Volksport in den Reihen der Kulturkritiker, den Untergang der Hochkultur durch ein jeweils neues Medium zu fürchten.

Comics und SF-Erzählungen liefen, sie liefen gut - und sie liefen in beiden Teilen Deutschlands.