Auszüge aus veröffentlichter Sekundärliteratur zum Mosaik von Hannes Hegen . Diese Zitate sollen die Diskussion der Heftbesprechungen im Digedags-Forum unterstützen. Der Text wurde Printmedien entnommen, Flüchtigkeits- und Übertragungsfehler bitte ich unkommentiert zu entschuldigen. Hier geht es zur Hauptseite: www.mosafilm.de
Zitat aus: Hartmut Kasper in: »Das Science Fiction Jahr 2004«, S.772-778, Heyne 2004


Der Weltraumhumorserienwettlauf - ost-west-deutsche Sektion
Science Fiction in deutschen Funnies und Semi-Funnies (Teil 2)

Die Reise zu den Proximanen oder: Sozialreformer im All




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In den 1950er Jahren gibt es, den Jüngeren mag es wie ein Märchen klingen, Deutschland in zwei Versionen, nach Himmelsrichtungen geschieden. Doch bewegen sich beide anfangs im Gleichschritt: Gegründet werden die beiden deutschen Staaten 1949, im Jahr zuvor haben beide eine neue Währung eingeführt, und beide Staaten rüsten sich 1956 mit einer neuen Armee aus (die sich, zum Zwecke der Unterscheidung, hüben NVA, drüben Bundeswehr nennt). Konrad Adenauer und sein Verteidigungsminister Franz Josef Strauss möchten 1957 die Bundeswehr mit Nuklearwaffen ausstatten - abgelehnt. Am 4. Oktober 1957 befördert die Sowjetunion den ersten künstlichen Erdtrabanten in die Umlaufbahn, »Sputnik«, was so viel wie »Gefährte« heißt, und zieht damit endlich nach. Der wahre Weltraumpionier heißt nämlich Karl Gabel, er ist ostdeutscher Wissenschaftler und wurde von seinem Zeichner Erich Schmitt bereits 1956 auf »Die Reise zu den Proximanen« geschickt. Der gebürtige Berliner Erich Schmitt (1924-1984) war gelernter Maschinenschlosser, dessen zeichnerisches Talent allerdings schon in den Lehrjahren missliebig auffiel, bevölkerte er doch biedere technische Zeichnungen mit übertrieben arbeitslustig grinsendem Bedienungspersonal. Für die Ostberliner Wochenpost entwarf er die Science-Fiction­ Comicserie »Die Reise zu den Proximanen«, die von der ersten bis zur einunddreißigsten Nummer des Jahres 1956 erschien. Zur Handlung: Am 1. Juni des fernen Jahres 1993 machen sich deutsche Astronauten mit dem »Atomraumschiff Albert Einstein« auf zu dem »lächerliche fünf Lichtjahre von uns entfernten« System der Sonne Proxima Centauri. Die Besatzung ist gesamtdeutsch: Prof. Dr. Alwin Zimmerling aus Weimar hat das Atomraumschiff konstruiert, der Pilot ist Wilhelm Haberkorn aus Hannover, der »angeblich als Erster bei einem Flug um die Erde sein eigenes Hinterteil gesehen« hat, Bordmechaniker ist der Berliner Ingenieur Karl Gabel, der Funker Hein Klüverbaum stammt aus Hamburg und der Bordarzt Alfred Sauerkohl, Erfinder der »Sauerkohlspritze«, ist Leipziger. Außerdem mit an Bord befindet sich »eine geheimnisvolle Kiste«, darin, wie man später sieht, der Allzweckroboter Kollege Blech steckt beziehungsweise (in der Version von 1967) Robert der Erste, Gabels »Sohn gewissermaßen«. Der Zeichner selbst lädt die Leser ein, mitzukommen: Da »sind wir schon im Jahr 1993. Der Mond ist längst Kurort für Schriftsteller und Zeichner, die vor dem Lärm der Welt in die lautlose Stille des Trabanten geflüchtet sind ... Kommen Sie mit in meine Mondbaracke, damit ich meinen Glashut abnehmen und mit Ihnen auf unsere Reise anstoßen kann. Ich habe mir dazu einen guten sowjetischen Kognak besorgt, wegen der fünf Sterne. Prost! « Nach zwei Jahren Bordzeit erreicht man Proxima Centauri und den dort kreisenden Planeten X, der von dinosaurierähnlichen Tieren bevölkert ist und von etlichen Primatenstämmen: von Bibermenschen, von den Proximanen, einer telepathisch begabten primitiven Menschenzivilisation, von einem barbusigen Amazonenvolk, das mittels Drogen seine Männer kleinwüchsig hält und domestiziert, und - wie unter einer Sonne namens Centauri nicht anders zu erwarten - von halb menschlichen Zentauren. Die wehrhaften Amazonen waren, wie wir gesehen haben, schon Einstein suspekt, und sie sollten es, wie wir sehen werden, auch in der Zukunft (wenigstens wie die Science Fiction sie sieht) bleiben. Gabel und die Seinen entfalten eine rege progressive Politik: Zunächst wird eine Fischbratküche gegründet, um die Bibermenschen vom Vorteil des Feuers zu überzeugen (die mit der neuen Errungenschaft gleich die Steppe in Brand setzen); dann wird das Regiment über die primitiven Telepathen übernommen, denen der Besuch von der Erde als göttlich erscheint; man befiehlt, alle Sklaven freizulassen.

Die freigelassenen Zentauren kehren jedoch nicht nach Hause zurück, sondern gründen eine Taxigenossenschaft, wobei der Transport die Transporteure manchmal mehr befriedigt als die Transportierten. Die unhaltbaren Zustände im Reich der Amazonen werden mittels Generalstreik gelöst, den Gabel anzettelt. Zwischen Mann und Frau soll völlige Gleichberechtigung stehen; da das Rezept für die biochemische Männerverniedlichung nur der Amazonenkönigin und ihrer ältesten Tochter bekannt sind, werden die beiden in den hohen Norden deportiert, wo nützlicherweise Frauenmangel herrscht. Nach verrichteter Sozialreform kehrt man zur Erde zurück. Der menschliche Teil der Besatzung wird zum Helden des Kosmos ernannt, Robert der Roboter führt in einem Museum die Expeditionsfilme vor und steigt, wie die Leser der Fortsetzung im Jahr 1973 erfahren, zum Direktor des Instituts auf. Das »erste atomgetriebene Planetenschiff« selbst, die »Albert Einstein«, verbleibt als Museum im Orbit. Von 1967 bis 1968 wird die »Reise zu den Proximanen« in der Berliner Zeitung noch einmal abgedruckt, allerdings in einer überarbeiteten Version: Die Bilder waren neu gezeichnet, die Texte politisch auf den aktuellen Stand gebracht, das hieß: man holte die sowjetischen Freunde ins Boot, und bootete die westdeutschen Raumfahrerkollegen aus - wenigstes nominell. Aus Alwin Zimmerling, Weimar, ist nun Kommandant Boris G. Popow geworden; der Pilot sieht zwar noch aus wie der Hannoveraner Haberkorn, heißt aber Juri S. Stepanowitsch und stammt aus Irkutsk; keine Rede mehr davon, dass er anlässlich einer etwas zu rapiden Erdumkreisung sich selbst auf den Hintern hatte schauen können. Und Hein Klüverbaum aus Hamburg ist jetzt Hein Klüverbaum aus Wismar. Ansonsten wird wenig retuschiert. Der Karikaturist Schmitt setzt etliche Grundmotive der deut­schen Nachkriegs-Science-Fiction ins Bild: Die Atomkraft ist menschenfreundlich geworden und befördert eine (in der ersten Version: transnationale) Forschergemeinschaft ins All; der ferne Planet entpuppt sich einerseits als Museum prähistorischer Erdzeitalter (Dinosaurier, primitiver Menschenstamm), andererseits als Refugium mythologischer Figuren (Amazonen, Zentauren).

Die sozialen Zustände werden in lustigen Bildern und mit viel Wortwitz nach dem Vorbild der Expeditionsteilnehmer refiguriert: die Sklaven befreit, die Matriarchinnen der Männerwelt zugeführt, die Produktivkräfte befreit - wenn auch fast ausschließlich im Dienstleistungsgewerbe (Fischbraterei, Taxigenossenschaft). Die Helden des Kosmos ziehen ins Pantheon der Heimatwelt ein. Schmitts Raumfahrergeschichte ist zwar zweifellos ein so genannter Semi-Funny, mit den Zentauren und den Bibermenschen aber wird außerdem ein Streifen Neuland betreten. Die extraterrestrischen Figuren erinnern zwar an Tiergestalten, sind aber als Intelligenzwesen gemeint; ihre Ähnlichkeit mit auf der Erde lebenden Tieren wird als rein zufällig ausgegeben. Auch in der realen Raumfahrt sollte, wie man weiß, die Zeit der Tiere kommen: Einen Monat nach dem Start des ersten Sputniks trägt der zweite Sputnik am 3. November 1957 die Hündin Laika in den Orbit, die nach sechs Tagen an Sauerstoffmangel stirbt. Der erste US-amerikanische Raketenstart mit Satellit scheitert am 6. Dezember 1957, der Versuch gelingt erst am 1. Februar 1958. Im Juli 1958 trägt sich dann eine amerikanische Maus in die Annalen der Astronautik ein. Auch die ersten Hominiden im Weltraum werden keine Menschen sein, sondern im Mai 1959 die Affen Abel und Baker, die erhabene 15 Minuten lang Raumfahrtgeschichte schreiben. Und dann war da noch das Pferd Jimmy: Der Hamburger Künstler und Gebrauchsgrafiker Roland Kohlsaat (1913-1978) hatte sich nach dem Krieg als Pferdemaler durchgeschlagen, bis er 1953 für die Kinderbeilage der Illustrierten Stern Jimmy erfand, das aufblasbare Gummipferd. Dessen Abenteuer und die seines Reiters, des Gauchos Julio, zeichnete und erzählte er 25 Jahre lang. Jimmy ist eine Art lebendiges Spielzeug. Es ist aufblasbar, kann laufen, schwimmen und nötigenfalls auch mit kleinen Hilfstriebwerken fliegen. Jimmy und Julio erleben eine zeitgenössisch­phantastische Odyssee, die sie unter anderem nach Atlantis führt, in Auseinandersetzungen mit Piraten, Kannibalen und Robotern verwickelt, gegen Dinosaurier und Todesvögel in den Kampf schickt und ihnen anno 1957 sogar einen kurzen Ausflug in den Weltraum zumutet. Dieser erste Ausflug ist jedoch ein Fiasko von fast amerikanischem Format: Julio stürzt aus dem Orbit ab, Jimmy trägt ihn sicher durch die Stratosphäre zurück zur Erde. Die Einladung zweier hübscher Astro-Mädels, endgültig auf ihren fernen Planeten, einen »besseren Stern«, umzusiedeln, nimmt er zwar an, verpasst aber, vom Alkohol benebelt, den Abflug des Raumschiffs. Schade.