Auszüge aus veröffentlichter Sekundärliteratur zum Mosaik von Hannes Hegen . Diese Zitate sollen die Diskussion der Heftbesprechungen im Digedags-Forum unterstützen. Der Text wurde Printmedien entnommen, Flüchtigkeits- und Übertragungsfehler bitte ich unkommentiert zu entschuldigen. Hier geht es zur Hauptseite: www.mosafilm.de
Zitat aus: Hartmut Kasper in: »Das Science Fiction Jahr 2004«, S.778-787, Heyne 2004


Der Weltraumhumorserienwettlauf - ost-west-deutsche Sektion
Science Fiction in deutschen Funnies und Semi-Funnies (Teil 3)

Entführt ins All - die Weltraumserie der Digedags

»Ich sehe schon, ihr habt überhaupt keine Ahnung, wo ihr euch befindet!« -
Frühe Risszeichnung eines Weltraumschiffes: Im Kino rechts vom Speisesaal läuft eine Beziehungsklamotte









»Das müssen schrecklich unvernünftige Menschen gewesen sein!« -
Warnung vor dem nuklearen Holocaust








Zukunft Ost-
eine lichte Werbewelt mit Kaufhaus, Bank, Hotel und Kino



(Klick auf die Abbildungen
für Zoom)

Atomenergie und Raumfahrt prägen die Brüsseler Weltausstellung im Jahr 1958; die Expo zeigt ein Modell des Sputniks. Zum Zuschauermagnet aber wird das Wahrzeichen der Ausstellung, das Atomium, ein 110 Meter hohes Atommodell, Symbol für den Wunsch nach einer gemeinschaftsdienlichen, friedlichen Nutzung der Atomenergie.
Die Sowjetunion präsentiert sich dank ihrer Erfolge in der Raumfahrt als führende Technologiemacht; die USA glänzen mit Konsumgütern. Im selben Jahr startet in Westdeutschland ein eigener Sput-Nik, Nick eben, der Weltraumheld von Hansrudi Wäscher. Nicks Abenteuer laufen bis heute, und man wird sie mit Recht als Deutschlands langlebigste Weltraumserie bezeichnen dürfen. Freilich wird der echte Fan Nicks Abenteuer im Welt­raum nicht wirklich zu den Semi-Funnies zählen, bleiben des Raumrecken gelegentliche Anflüge von Komik doch eher unfreiwillig.
Im Jahr 1958 hat längst auch der Wettflug zum Mond begonnen: Im Oktober 1958 stürzt der amerikanische »Pioneer« nach 130000 Kilometern auf dem Weg zum Erdtrabanten zurück zur Erde; im Januar 1959 passiert der sowjetische Satellit »Lunik« den Mond, im September 1959 wird ein Wimpel mit dem sowjetischen Wappen auf dem Mond deponiert, und im Oktober schießt die Sonde »Lunik III« die ersten Bilder von der Rückseite des Mondes.

Die deutschen Genossen aber bleiben den russischen Kosmonauten wieder um einiges voraus: Im Dezember 1958 ist nämlich die beliebteste ostdeutsche Comicserie, das »Mosaik« nämlich mit seinen Helden, den Digedags, ins Weltall gestartet, genauer gesagt: entführt worden.

Die Karriere von Mosaik ist eine Art Ein-Mann-Wirtschaftswundergeschichte der DDR. Hannes Hegen, eigentlich Johannes Hegenbarth (geboren 1925), Glasgraveur und Grafiker, hatte im Jahr 1955 mit dem der FDJ unterstellten Verlag »Neues Leben« einen Vertrag über die Herausgabe einer Bilderzeitschrift geschlossen. Das Magazin erschien zum ersten Mal am 23. Dezember 1955.
Hegen baute sich ähnlich wie Wall Disney und Rolf Kauka einen Stab von Mitarbeitern auf, und es gelang ihm mit großem Verhandlungsgeschick, außer zu Ruhm und Ehre auch zu beträcht­lichem privatem Vermögen zu kommen. Er kaufte ein von der Roten Armee geräumtes Haus in Berlin und machte seinen Betrieb dort ansässig.

Die Helden seines Comics sind die drei kindergroßen, aber erwachsen agierenden Figuren Dig, Dag und Digedag - die Digedags eben. (Nach der Vertragsauflösung von Seiten Hegenbarths wurden diese 1975 durch ihre Klons, die Abrafaxe, ersetzt, treiben in dieser Maske bis heute ihr fröhliches Wesen und haben ihren Vater Staat, die DDR, mittlerweile um 15 Jahre überlebt - wir gratulieren!)

Die Digedags reisten zunächst ins Alte Rom und erlebten dort Abenteuer, die nicht wenig von den Sandalenfilmen inspiriert waren, wie sie damals in die West-Berliner Kinos kamen.
Dann aber fasste man an übergeordneten Stellen Entschlüsse: Die FDJ suchte ihre politisch-ideologische Arbeit zu forcieren und beschied sich im Sputnik-Jahr 1957 selbst: »Die FDJ muss in der Jugend den Hass gegen den aggressiven westdeutschen Imperia­lismus und Militarismus, die die größte Kriegsgefahr in Europa sind, entfachen. Die Jugend soll zur Parteilichkeit, zur kämpferi­schen Haltung gegenüber der bürgerlichen Ideologie erzogen werden.«"
Der Mosaik-Redakteur Ernst Dornhof entschloss sich daraufhin - und mit Rücksicht auf den großartigen kleinen sowjetischen Erdsatelliten -, »zeitgemäßere Gegenwartsthemen in politischen und naturwissenschaftlich-technischen Bereichen, konkret die Unterlegenheit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung aufzuzeigen und die Fortschrittlichkeit des sozialistischen Systems hochzuloben. «12 Und wo sollte sich der gewünschte Hass gegen den aggressiven westdeutschen Imperialismus und Militarismus besser entfalten können als in Zukunft und im Weltenraum? Und ab ging's ins All.

Die Mosaik-Künstler inszenierten den Szenenwechsel 1958 als abrupte Entführung: Ein fremdes Raumschiff setzt in Heft 25 auf der Erde der Römerzeit auf, die Raumfahrer vom Planeten Neos locken Dig, Dag und den römischen Ingenieur Sinus Tangentus an Bord und starten durch.
Getreu dem Zynismus, dass, wer eine Vergewaltigung nicht verhindern kann, diese ja zu genießen versuchen könnte, schließen sich die Gekidnappten der neonischen Raumexpedition kurz da­rauf »freiwillig« an. Auch scheint der Erste Offizier (oder so) Bhur Yham recht umgänglich zu sein und trägt eine Brille, sodass man ihm später gerne das Leben rettet; der Kommandant aber, Peer Tyla, spioniert im Nebenberuf für das Großneonische Reich.

Die DDR und die BRD durchlebten damals geradezu ein Spionage-Fieber, und das schon bevor der modische Verfolgungswahn durch Dokumentarfilme wie James Bond - 007 jagt Dr. No (GB 1962) unterfüttert wurde.
Auf Neos, erfahren Dig und Dag, gibt es nur (noch) zwei Staaten: die Republikanische Union (das sind die Guten) und das Großneonische Reich (das sind die Bösen). Und das kam, wie uns Dig erklärt, so: Früher gab es natürlich auch auf Neos etliche Nationen, aber »nach und nach haben sich die kleineren Länder freiwillig zu einer Union zusammengeschlossen, während das Großneonische Reich sein Gebiet durch Krieg erobert hat und noch immer mehr vergrößern will, hassenswerterweise.

Zunächst geht es natürlich zum Mond, dann zum Mars, und dann in die Tiefen des Alls. Ein Planet, mit dem man bis vor kurzem Funkkontakt hielt, antwortet nicht mehr. Man fliegt ihn an. Die Welt erweist sich als vom Atomkrieg zerstört. In - wie beim Mosaik eigentlich immer -großartigen, detaillierten, nun aber ungeheuer düsteren und erschreckenden Bildern wird die verwüstete, leblose Welt vorgeführt.
Gert Lettkemann merkt an: »Dieses Katastrophenmotiv ist in der westlichen SF sehr beliebt. Dort führen die letzten Überlebenden in einer degenerierten Welt oft einen erbitterten Kampf untereinander. Der Übergang zur Fantasy ist fließend. Anders dagegen im Mosaikheft. Es schafft keine Fluchtwelt, denn jedes Leben ist vernichtet.
Man findet das Testament des führenden Atomforschers der untergegangenen Welt: »Mein Appell an die beiden Regierungen ist nicht gehört worden. Der Atomkrieg hat begonnen. Sollten Bewohner anderer Welten einmal ... landen, so soll ihnen unser Schicksal ein warnendes Beispiel sein.«
Schon hier beginnt, wenn auch sehr leise, die Sabotage des Hassauftrags. Es ist nämlich keine Rede davon, dass ein aggressiver, irgendwie westlicher Imperialismus und Militarismus zum Atom­krieg führen könnte; statt dessen werden die »beiden Regierungen« angeprangert - eine im Zeichen des Kalten Krieges leicht zu entschlüsselnde Chiffre.

Als die Digedags mit ihrem altrömischen Begleiter im April 1959 endlich auf dem Neos landen, treffen sie darüber hinaus auf eine schöne, neue, konsum- und unterhaltungsorientierte Warenwelt: Kaufhaus reiht sich an Kaufhaus, Bank an Bank, Kino an Kino, auf etlichen Ebenen rollt der Personennahverkehr, auf dem Dach eines Autohotels lockt ein Swimming-Pool mit Palmen, U- und Röhren-, Hoch- und Schwebebahnen zischen umher, gigantische unterirdische Schifffahrtstunnel führen zu unterirdischen Häfen - die farbenfrohen Schaubilder sind (fast) textfrei gehalten.

Freilich scheinen in dieser Wunderwelt alle technischen Probleme gelöst - für die Lösung welcher technischer Probleme soll man die Jugend da noch begeistern? Und so beginnt ab Heft 30 »Der Staudamm am Schwarzen Fluss« eine gespenstisch-rückwärtsgewandte Evolution dieser Zukunftswelt. Da wird beispielsweise wieder ein titanischer Staudamm gebaut wie weiland auf der Erde des Jahres 1959 (Rappbode-Talsperre im Harz); und hier wird denn auch Sinus Tangentus deponiert - ein ironischer Kommentar auf die sowjetische Praxis, eine verdiente Persona non länger grata als Direktor eines entlegenen sibirischen Kraftwerks zur Ruhe zu setzen. Oder man taucht in die Abgründe des Ozeans, wo sich wunderlicherweise die irdischen Tiefseefische tummeln, aufs Bunteste abgeschildert wie auf einer Lehrbuch-Schautafel. Die Digedags erfinden ein neues Leichtmetall, das Digedanium, das in einem Kombinat massenweise produziert werden soll. Und siehe da, sowohl das Kombinat, sein Hüttenwerk, als auch die mit dem neuesten Metall gebauten Flugzeuge sehen (wenigstens für uns heute) immer älter aus. Propellermaschinen fliegen, Schlauchboote schwimmen, selbst die Feuerwehrautos degenerieren zu Fahrzeugen der 1950er Jahre - die ostdeutsche Gegenwart drängt die Zukunft an den Rand.

So wird die neonische Gesellschaft, die eben noch mit Nuklear­kraft interstellar unterwegs war, wieder vom Erdöl abhängig, und man trifft im Zuge der Verfolgung von »Erdölpiraten«, die zur bes­seren Tarnung allesamt Cowboyhüte tragen, auf einen Urwald­stamm, der sein Heiligtum mit einer - wie die dunkelhäutigen Eingeborenen meinen - magischen Flamme erleuchtet. Tatsächlich brennt hier Erdgas. Der Häuptling, der spaßigerweise auf den Namen Palipapu hört, wird überredet, die Erschließung des Erdöl­feldes zuzulassen. Und dank dieser Entwicklungshilfe ist kurz darauf »aus dem weltvergessenen Urwalddorf eine gesunde und freundliche Siedlung geworden« voller Tanks, Rohrsystemen und Verwaltungsgebäuden, und der ehemalige Häuptling schafft als Gastarbeiter im eigenen Land und im bewährten Blaumann für das Erdölkombinat: »Mir gefallen es auch sehr gut hier. Besonders Musik, die aus Radio kommen, ist schöner als Geschrei von Brüll­affen.« Und jetzt einen Baumriesen zu fällen, ist mit »der Motor­säge ... ein Kinderspiel.«"

Nun ja, wie heißt es zu dieser Problematik im Impressum: »Diese Hefte ... entsprechen dem damaligen Wissensstand«. Auch dürfen wir bezweifeln, dass die verordnete Begeisterung über einen derartigen zivilisatorischen Fortschritt von den Mosaik-Künstlern und ihren Agenten, den Digedags, wirklich geteilt wird.
Im weiteren Verlauf ihrer Weltraumserie besuchen die Mannschaft um den inzwischen zum Kommandanten beförderten Bhur Yham nämlich Planet um Planet, und jeder einzelne repräsentiert ein vergangenes Erdzeitalter. Selbstverständlich visitiert man chronologisch korrekt, die Dino-Welt vor der Säugetier- und Ur-Menschenwelt.

Lettkemann und Scholz kommentieren diesen Fern-Kurs in Universalgeschichte: »Die politische Leitlinie zeigte sich in der inhaltlichen Übereinstimmung mit den staatlichen Jugendstunden zur Vorbereitung auf die Jugendweihe, deren festlicher Abschluss bezeichnenderweise in der Überreichung eines Buches mit dem Titel >Weltall, Erde, Mensch< bestand.

Aber die Reisegesellschaft erfährt eine merkwürdige Mutation: Den bis dahin wackeren Raumfahrern schwindet Respekt und Dis­ziplin; was der beförderte Bhur Yham befiehlt, ist den Digedags schnurz; die Figurinen werden immer verschrobener. Sanitäter Beppo schmuggelt eine Sau an Bord; ein »alpines Weltraumfaktotum Sepp mit den Gesichtszügen von Luis Trenker« erscheint, Tierpräparatoren, Tierstimmenjäger und Psychiater stoßen zur Crew. Zwischenzeitlich sind (im Januar 1961 und auf Geheiß der dem Mosaik-Kollektiv ins Handwerk pfuschenden Chefredaktion) sogar die Sprechblasen verloren gegangen, bekanntlich ein Zeichen hassenswerter minderwertig-militaristischer West-Ware.

Mit Heft 73 verkündet der Titel, dass die Weltraumexpedition endlich am Ziel ihrer Reise angekommen ist: »In grauer Vorzeit«. Nachdem die Digedags den einheimischen Urmenschen anachronistische Gebrauchsgegenstände wie das Schaufelradtretboot, das Steintretrad und die postbefördernde Honigmetrakete (aus Holz) gebracht haben, kapituliert der Raumschiffkommandant end­lich: »Die Digedags sind schuld; sie haben uns alle angesteckt! Eine ernsthafte wissenschaftliche Arbeit ist schon seit langem nicht mehr möglich, ich bin selber schon ganz durcheinander, und in solchem Zustand soll man nun eine Weltraumfahrt durchführen. Es ist ein Skandal!« Und die Digedags antworten - an behalf of the Mosaik-Crew - »So, Herr Kommandant, nun wollen wir auch mal was sagen! Wir haben längst bemerkt, dass es Ihnen Leid tut, uns mitgenommen zu haben. Darum ist es wohl am besten, wenn wir uns für immer trennen.... Geben Sie uns das Ding [die Rettungs­rakete; H.K.] und lassen Sie uns sausen! Wir wollen endlich wieder nach Hause! « Und Bhur Yham, dessen Nerven eh ihre einst stählerne Konsistenz längst eingebüßt haben - Zitat: »Ich werde sofort dem Straustahl - nein, dem Streilstrau - Strahlstaustreil - zum Donnerwetter, dem Staustrahlsteilstarter befehlen, dass er die drei Übergeschnappten zurückholt.« - willigt nur zu gerne ein; er »wünscht den beiden kühl eine gute Reise. Dann erhebt sich die Rakete und schießt hinaus ins All« und zurück auf die Erde.

So endet der Weltraumausflug von Zweidrittel Digedags im Dezember 1962 - ein immer imponierend gezeichnetes, widerwillig erzähltes Abenteuer, das gleichzeitig als Lehrstück über die Möglichkeit eines burlesk-gewaltlosen Widerstands gegen Kunstbevormundung gelesen werden kann.