Auszüge aus veröffentlichter Sekundärliteratur zum Mosaik von Hannes Hegen . Diese Zitate sollen die Diskussion der Heftbesprechungen im Digedags-Forum unterstützen. Der Text wurde Printmedien entnommen, Flüchtigkeits- und Übertragungsfehler bitte ich unkommentiert zu entschuldigen. Hier geht es zur Hauptseite: www.mosafilm.de
Zitat aus: Petra Kock, Das Mosaik von Hannes Hegen, Entstehung und Charakteristika einer ostdeutschen Bildgeschichte, Logos Verlag Berlin, 1999, S. 126-133

Der Versuch, das MOSAIK VON HANNES HEGEN von einem Abenteuerheft in eine Zeitschrift umzuwandeln: 1957 bis 1959/60
Die Weltraum-Serie
Science Fiction - Flucht vor politischen Vorgaben?


Nach Lettkemann/Scholz (1994: 32) „verlangte" der Chefredakteur Dornhof „unter dem Eindruck der sowjetischen Weltraumerfolge [...] konkret die Unterlegenheit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung aufzuzeigen und die Fortschrittlichkeit des sozialistischen Systems hochzuloben".
Da man „aus Furcht vor Repressalien, die unweigerlich zum Verbot der Zeitschrift geführt hätten", keinen offenen Widerstand leisten wollte,
  • „[...] kam Hannes Hegen auf die Idee, die politischen Vorgaben in eine den oft sehr eingleisig denkenden Funktionären fremde und ungewohnte Form zu kleiden, um sich dem Druck durch Flucht in Sujets der Science Fiction zu entziehen. Hier rechnete man mit weniger Einflußnahme und der Bewahrung eines hohen Grades an künstlerischer Kreativität und Freiheit, ohne die Konfrontation zwischen Sozialismus und Kapitalismus direkt ansprechen zu müssen."

Die Forderung des Chefredakteurs Dornhof war mit der zur damaligen Zeit laufenden Römer-Serie nicht überzeugend umzusetzen. So ist anzunehmen, daß mit den ideologischen Forderungen die Forderung nach einer neuen Serie und, wie wir vermuten, auch nach einer neuen Gestaltungsweise verbunden war. Daß bereits in den letzten Heften der Römer-Serie eine deutliche Politisierung des Geschehens abzulesen ist [54], kann als Hinweis für den Nachdruck, mit dem von seiten des Verlages eine „Verbesserung" des MOSAIK VON HANNES HEGEN angestrebt wurde, gelten. Die sowjetischen Weltraumerfolge, die die ganze Welt beeindruckt hatten, waren 1958 ein naheliegendes, hinsichtlich der genannten Forderungen besonders attraktives Thema. Zur Darstellung dieses Themas in einer Bildgeschichte bot sich die Science Fiction (SF) [55] geradezu an. Bedenkt man weiterhin, daß das MOSAIK VON HANNES HEGEN zur Zeit der Entwicklung der neuen Serie immer noch in einem Jugendbuchverlag veröffentlicht wurde, erscheint die SF als literarische Form keineswegs als „ungewohnte Form" der Gestaltung des Themas „Weltraumfahrt".
Bereits in der ersten Hälfte der 50er Jahre gab es in der Comic-Produktion, aber auch in der SF-Literatur-Produktion einen SF-Boom, der dem enormen Aufschwung technischer Entwicklungen verschuldet war. Im Unterschied zu den SF-Geschichten der 30er Jahre, in denen kaum jemand annahm, daß sich die futuristischen Ideen noch in der gegenwärtigen Generation verwirklichen lassen würden, siedelten die SF-Comics der 50er Jahre ihre Handlung oft um das Jahr 2000 an, die Helden dieser Serien wurden nicht mehr so phantastisch wie in den 30er Jahren in die Zukunft befördert. In den 50er Jahren machte, wie Robinson (1974: 198) es formuliert, „the accelaration of scientific achievement [...] the distinction between science and fiction smaller each day". Der Start des ersten Sputnik im Oktober 1957 gab dieser Entwicklung eine neue Dimension; gleichzeitig erfuhr die SF-Comic-Produktion einen erneuten Aufschwung. In Westdeutschland entstand in Reaktion auf die Eroberung des Weltalls der SF-Comic Nick der Weltraumfahrer von Hansrudi Wäscher [56], wobei es dem Verleger Lehning dabei nicht um kulturpolitische, sondern um kommerzielle Interessen ging. Die SF stellte hier nur eine dem Zeitgeist entsprechendere „Verkleidung" des Abenteuercomics dar [57].
Als ein wichtiger Beweggrund für die Entstehung der Abenteuer-Comics oder -Hefte als SF-Geschichten wird immer wieder die Tatsache angeführt, daß die Welt im 20. Jh. keinen Ort für die Entfaltung von Träumen mehr zu bieten hatte, gleichzeitig aber gerade im 20. Jh. die Entfremdung des Menschen durch die Industrialisierung einen großen Bedarf an Traumwelten und Fluchtmöglichkeiten in diese erzeugte [58].
Solche literarischen „Zufluchtsstätten" durfte die DDR-Literatur zu einem Zeitpunkt, an dem es um die Schaffung einer eigenen Nationalliteratur ging, als deren einzige Gestaltungsmethode der sozialistische Realismus vorgeschrieben wurde, der „vom Künstler eine wahrheitsgetreue, historisch-konkrete Darstellung in ihrer revolutionären Entwicklung" forderte, nicht gestaltet werden. Die SF-Literatur der DDR war, vor allem in den 50er Jahren, „kein Feld, wo man seiner Phantasie freien Lauf lassen konnte" [59]. Im Sinne des sozialistischen Realismus übernahm die sozialistische SF-Literatur die Funktion, „von der Höhe jener herrlichen Ziele", denen ein sozialistisches Volk „entgegengeht", das Erwünschte wiederzugeben, wobei die kommunistischen Ideologen davon ausgingen und propagierten, daß, weil der „Kommunismus im Einklang mit den Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung" errichtet wird, „kein Widerspruch zwischen den Wünschen und den Vorstellungen von der Welt und dem historischen Prozeß" besteht [60].
Demgegenüber wurden Weltflucht und Anti-Utopie als Ausdruck des faulenden, absterbenden Kapitalismus betrachtet und damit diesem zugeordnet. Die in den 50er Jahren entstehende DDR-SF-Literatur erhob in Abgrenzung zur kapitalistischen Morbidität den Anspruch auf „reale Prognostik". Bereits die verwendeten Begriffe „Zukunftsliteratur`, „Utopische Literatur" und „Wissenschaftliche Phantastik" [61] dokumentieren den Anspruch auf Verwurzelung in der Wirklichkeit [62]. Das erste DDR-SF-Buch, Die goldene Kugel von Ludwig Turek, vermittelt wegweisend diesen Anspruch sowie die Überzeugung, daß die „Zukunft dem Sozialismus gehöre" [63]. Im „notwendigen" Nachwort wendet sich Turek (1949: 170 f.) an den Leser:

  • „Aber ist denn die »Goldene Kugel« wirklich nur eine phantastische Geschichte? Ich denke nicht. Alles, was vom Himmel kam, war Phantasie des Dichters. Aber alles, was auf der Erde spielte, entstammt der Wirklichkeit und den Gedanken der fortschrittlichen Menschheit. Diese Gedanken sind Herzenssache von Millionen Kämpfern für Frieden und Sozialismus, deren ungestüme Leidenschaft ohne Unterschied der Rasse und Nation den ganzen Erdball umspannt. [...]
    Setz dich nach der Lektüre dieses Buches nicht auf das Dach deines Hauses, glotz nicht in den Himmel und wart nicht auf die »Goldene Kugel«. Gebratene Tauben und der Sozialismus fallen nicht vom Himmel. Das einzige, was bei einer solchen unproduktiven, traumverlorenen »Tätigkeit« eines Tages unverhofft vom Himmel fallen kann, sind Atombomben."
    [64]

Die SF-Werke, die unmittelbar nach dem Postulat von Ludwig Turek entstanden (wie etwa Viehwegs Ultrasymet bleibt geheim, Fahlbergs Betatom und del'Antonios Gigantum), beschränkten sich auf der Gegenwart sehr nahe Produktions-SF. Im Mittelpunkt dieser Romane steht „der wirtschaftliche Aufbau einer jungen demokratischen Gesellschaft - vorgeführt am Beispiel des Kampfes um die Durchsetzung einzelner technischer Erfindungen" [65], wobei die Handlungsmuster der sozialistischen Produktionsromane sich von denen der bürgerlichen Literatur, bedeutsamster Vertreter dieser Produktionsromane war Hans Dominik, oft nicht wesentlich unterscheiden, sondern deutlich in Anlehnung an bekannte Klischees entstanden sind. Das bereits bekannte Klischee der Konkurrenz und damit zusammenhängend das der Spionage- und Agententätigkeit hatte allerdings in der DDR-SF eine andere Dimension, indem es dem im Zuge des Kalten Krieges propagierten Schwarz-Weiß-Denken folgte und Vorschub leistete [66]. Erst mit dem Beginn der praktischen Weltraumfahrt Ende der 50er Jahre, der erste sowjetische Sputnik umkreiste ab Oktober 1957 als Satellit die Erde, lag der thematische Schwerpunkt der DDR-SF fortan auf der Weltraumfahrt (z.B. in Die Unsichtbaren von Krupkat und Erde ohne Nacht von Fahlberg). Die Verlagerung des Systemkampfes ins All (dargestellt als interplanetarische Revolution, bei der die Kommunisten siegen, während sich die Kapitalisten meist selber vernichten), war die übliche Variante. Dabei standen der Flug ins All als technisches Problem und die damit verbundenen Bewährungssituationen im Vordergrund, das Hauptthema blieb wie bei der Produktions-SF der Kampf um die Meisterung von Natur und Technik.
Wenn also die SF-Literatur der DDR realitätsbezogen war und sich als populäres Feld anbot, die sozialistische Überlegenheit gegenüber dem kapitalistischen Klassenfeind zu beweisen, stellt sich die Frage, wieso Hegenbarth die SF als - wie Lettkemann/Scholz (s. Zitat auf S. 126) es angeben - „eine den oft sehr eingleisig denkenden Funktionären fremde und ungewohnte Form" angesehen haben soll, „um sich dem Druck durch Flucht in Sujets der Science Fiction zu entziehen."
Eine mögliche Erklärung ergibt sich aus der Feststellung, daß es in der SF-Produktion der 50er Jahre eine Ausnahme gab, die den für die DDR-SF angeführten Charakteristika nicht entspricht. Bei dieser Ausnahme handelt es sich gerade um eine Bildgeschichte, die zudem die erste nennenswerte SF-Bildgeschichte der DDR war. Die seit Januar 1956 in der Wochenpost in Serie erschienene phantastische Bildgeschichte Die Reise zu den Proximanen von Erich Schmitt (Abb. 15) benutzte - im Gegensatz zu den Werken der DDR-SF-Literatur der 50er Jahre - die SF lediglich als literarische Konvention, die einen exotischen Hintergrund bzw. Kosmos für „Nur-Unterhaltung" bot.
Die Reise zu den Proximanen. Eine phantastische Bildgeschichte erzählt und gezeichnet von Erich Schmitt wurde in der Wochenpost ab Nr. 1/1956 veröffentlicht und umfaßte 31 Folgen [67]. Außer den Motiven der Reise durch das Weltall zu einem fremden Planeten mit dem Atomraumschiff RAK 34 und dem Agieren eines Roboters als „sechstem Mann" der Besatzung kommen in der Serie keine weiteren ausgemachten SF-Elemente zum Tragen. Daß diese wenigen utopisch-phantastischen Aspekte in den karikaturhaften Zeichnungen sehr vereinfacht und auf die Hauptformen und -elemente verkürzt wiedergegeben werden (vgl. z.B. den künstlichen Erdsatelliten und das Atomraumschiff im ersten Panel von Abb. 15), belegt ebenfalls, daß es hier um keinen wirklichen Zukunftsentwurf geht. Vielmehr dienen die SF-Elemente der humorvollen Kontrastierung zwischen dem modernen Menschen und zukünftigen sowie realen oder sagenhaften geschichtlichen Begebenheiten.
Nach fünfjährigem Flug erreicht das Raumschiff RAK 34 (in Folge 12) 1998 sein Erkundungsziel, den „noch namenlose[n] Begleiter des Proxima-Centauri" (Folge 12, P. 1). In der Ausgestaltung dieses Planeten lehnt sich der Autor entweder an die irdische Vor- und Frühgeschichte oder an die antike Sagenwelt an. So kommt in Folge 13 ein Dinosaurier vor, Folge 16 parodiert die Prometheus-Sage, in Folge 17 agieren Zentauren, das pyramidenbauende Volk der Sonnenanbeter in den Folgen 18-20 hat unverkennbar das alte Ägypten zum Vorbild, Schauplatz der Folge 22 ist ein Labyrinth mit einem darin hausenden Ungeheuer und die Folgen 24-29 spielen im „Land der Amazonen". Genauso wie in den ersten elf Folgen das Raumschiff, ist auch in den übrigen 20 Folgen der jeweilige Handlungsort letztlich nur exotische Kulisse, vor der sich die Besatzungsmitglieder mit einem schlagfertig-ironischen Humor zu bewähren haben.
Die meisten Bewährungsproben hat als markanteste Figur der Berliner Ingenieur Karl Gabel zu bestehen, der fast in jeder Situation einen lapidaren Kommentar parat hat. Als er z.B. in Folge 19, P. 4, vor dem Oberpriester der Sonnenanbeter gewaltsam zu Fall gebracht wird, bemerkt er knapp: „Andere Sterne, andere Sitten!" Ebenso schlagfertig reagiert er beispielsweise in Folge 13, P. 8, auf den Hinweis eines anderen Besatzungsmitglieds, der Gabel verfolgende Brontosaurus sei lediglich ein harmloser Pflanzenfresser: „Das ist für eine Berliner Pflanze kein Trost." Neben den Äußerungen der Figuren kennzeichnet diese Art von lakonisch-sprödem Humor auch die Erzählerkommentare, mit denen sich der Autor direkt als narrative Instanz sprachlich in die Erzählung einschaltet, um - grob gefaßt - entweder das im Bild gezeigte Geschehen zu erklären (z.B. Folge 22, P. 7: „Blitzschnell läßt Gabel das Seil los und klammert sich an den Sockenfaden aus Perlon") oder einen Kommentar zu einem Handlungselement abzugeben (z.B. den Hinweis auf die „konservative Herrenmode" zwischen P. 10 und 11 in Abb. 15). Bezieht sich der Erzählertext auf ein einzelnes Bildelement, ist dies vielfach durch einen vom entsprechenden Blocktext ausgehenden Pfeil markiert. In diesen Merkmalen, dem separaten Vorstellen der Figuren vor der eigentlichen Handlung (s. Abb. 15) sowie in dem allgemein vorherrschenden lapidar-spröden Humor ähnelt Die Reise zu den Proximanen der ab 1950 erschienenen westdeutschen Serie Nick Knatterton von Manfred Schmidt.
Insgesamt betrachtet bilden die SF-Motive (Raumflug, Roboter, Erkundung eines fremden, bewohnten Planeten) in der Reise zu den Proximanen also lediglich die Grundlage für eine betont lustige, unterhaltsame Handlung ohne ideologisch-agitatorische oder wissenschaftlichphantastische Implikationen.
Da sich Johannes Hegenbarth, wie noch an anderer Stelle (s. Abb. 37 und Abb. 38, S. 198) konkret nachzuweisen sein wird, an dem Schaffen des Zeichners Erich Schmitt orientierte, wäre auf dem Hintergrund des „nur-unterhaltenden" Charakters der Reise zu den Proximanen Hegenbarths Argumentation verständlicher, Sujets der Science Fiction als Fluchtmöglichkeit vor politisch-ideologischem Druck angesehen zu haben. Auch das bis dahin einzige SF-Kinderbuch der DDR, Messeabenteuer 1999 von Werner Bender, kann die Annahme, durch die SF den politischen Vorgaben entfliehen zu können, stützen. Dieses SF-Kinderbuch, das übrigens von Erich Schmitt illustriert wurde, folgt zwar wie alle anderen DDR-SF-Bücher dieser Zeit dem Anspruch nach „realer Prognostik", doch geht es hier nicht um Systemauseinandersetzungen und politische Schwarz-Weiß-Malerei. Erzählt werden die Erlebnisse zweier Freunde, die während der Leipziger Messe 1999 zwei Roboter, die sie zunächst für Personen mit übermenschlichen Fähigkeiten halten, verfolgen. Das erste SF-Kinderbuch der DDR macht allein durch die Tatsache, daß es in der Reihe „Robinsons billige Bücher" [68] erschienen ist, aber vor allem durch die ersten Sätze den Anspruch auf Unterhaltung geltend und verweist gerade mit den Anfangsätzen auf die im Vorhergehenden erläuterte Diskussion um die Abenteuerliteratur und das Unterhaltungsbedürfnis „sozialistischer" Menschen [69]:

  • „Im März des Jahres 1999 wurde im Unterhaltungsteil der Leipziger Volkszeitung unter dem gleichen Titel, den dieses Büchlein trägt, in mehreren Fortsetzungen eine Geschichte abgedruckt. Personen, Gedankengänge und Ereignisse, die darin geschildert werden, waren für die so anspruchsvollen Leser jener Zeit gewiß nicht von überwältigender Bedeutung, aber dennoch genossen sie die Lektüre nicht ohne Interesse." [70]

Die kulturpolitische Situation von 1956 unterschied sich, wie bereits ausführlich erläutert wurde [71], jedoch maßgeblich von der kulturpolitschen Situation 1958 in der DDR. Abgesehen davon war das Thema „Weltraumfahrt" zur Zeit der realen „Eroberung" des Weltalls durch die sowjetischen Sputniks und bemannten Raumflüge (den ersten bestritt Gagarin 1961) ausgesprochen prädestiniert dazu, die Überlegenheit des sozialistischen Systems hochzuloben. Daher stellt die Verlegung der MOSAIK VON HANNES HEGEN-Handlung in den Weltraum aus konzeptioneller Sicht keine Flucht vor politischen Vorgaben, sondern ganz im Gegenteil eine Befolgung der eingangs zitierten Forderungen des Chefredakteurs dar. Der versteckte Widerstand der MOSAIK VON HANNES HEGEN-Redaktion gegen die aufoktroyierten Richtlinien findet sich also nicht in der Wahl der SF-Sujets. Vielmehr scheinen die auffälligen formalen und inhaltlich-dramaturgischen Inkonsistenzen Ausdruck des Ringens um das Profil des MOSAIK VON HANNES HEGEN zu sein. Eine weitere Schlußfolgerung der dargestellten Überlegungen ist die, daß es bei den Forderungen seitens des Chefredakteurs bzw. der Verlagsleitung um mehr als um die Forderung nach der Darstellung der Überlegenheit des sozialistischen Systems ging. Zu dieser Überlegung führt zunächst die Beobachtung, daß der SF-Charakter mit zunehmender Dauer der Weltraum-Serie merklich schwindet [72].



[54] In der Römer-Serie kämpfen die Digedags zunächst lediglich gegen Räuber oder Widersacher des Kaisers, d.h. die Digedags setzen sich sogar für einen Machthaber ein. Ab Heft 23 wird der Kampf der Digedags gegen das Böse politisch motiviert. Sie versuchen, dem Befehl des Kaisers, die Mittelmeerinsel Malta in einen Militärstützpunkt umzuwandeln, entgegenzuwirken. Die Römer-Serie endet mit dem Aufstand der Fischer von Malta, an dem die Digedags maßgeblich beteiligt sind, gegen die römischen Besetzer.

[55] Wuckel (1986: 9) hält hinsichtlich der Vielzahl an SF-Definitionen fest, daß über die genaue Bedeutung des Begriffs „Science Fiction" keine Einigkeit besteht: „Die Vorstellungen von SF sind so verschiedenartig, daß es nahezu gegensätzliche Definitionen oder wenigstens Umschreibungen des Gegenstands gibt." Als Prämisse für SF gilt bei ihm (1986: 12): „die aufzuführenden Werke müssen eindeutig der Phantastik zuzuordnen sein." Davon ausgehend stellt er (1986: 13) die „Faustregel" auf, SF unterscheide sich „von den anderen phantastischen Genres durch die Eigentümlichkeit, die mit den Beiwörtern »wissenschaftlich« bzw. »science« bezeichnet wird. Die Metaphern des Lebens werden in der Science Fiction (pseudo)wissenschaftlich eingekleidet."

[56] Schröder (1982: 84) geht davon aus, daß Nick, „der es als Nick der Weltraumfahrer (1958-60) auf immerhin 139 Piccolo-Hefte brachte und als Nick, Pionier des Weltraums (1959-63) auf 121 Großbande [,...] die langlebigste SF-Comic-Serie rein deutscher Produktion" sein dürfte. Bei Knigge (1980: 21) heißt es zum selben Thema, daß „die Entscheidung[,] eine utopische Serie ins Programm zu nehmen[,] Hals über Kopf getroffen wurde [...]. Trotzdem gelang es ihm [Wäscher, P.K.], mit der Serie Nick die erfolgreichste und langlebigste SF-Serie zu kreieren, die in der BRD entstanden ist."

[57] Die Serie Nick beginnt ihre Handlung im Jahre 2008 und geht, im Unterschied zur MOSAIK-Serie, von einer nach langwierigen Verhandlungen gebildeten Weltregierung aus, die sich friedlich entwickelte, in wissenschaftlicher sowie sozialer Hinsicht beträchtliche Fortschritte gemacht hat und letztlich nur noch die Eroberung der Sterne erhofft. Die feindlichen Widersacher bestehen aus einer nahezu unbestimmbaren Gruppe, deren Raumschiff den Namen Australia 1 trägt. Hinsichtlich der Themen und Motive gibt es Parallelen zwischen beiden deutschen SF-Comics. Das betrifft den Versuch, Baupläne zu entwenden, um ein Raumschiff nachzubauen, ebenso, wie das Motiv der Zerstörung eines Planeten durch eine Atom- oder Wasserstoffbombe oder aber auch das Bild der Wilden, die als Primitive von den Helden zivilisiert werden sollen.

[58] Riha (1970: 25) hält zu den „Fantastic oder Science Fiction Strips" fest: „[...] aktuell werden sie dadurch, daß sich in ihnen die Psychosen des atomaren Zeitalters, die unterschwellige Angst vor der technischen Revolution, die Entfremdung der Massen vom Wissenschaftsprozeß und seinen technischen Resultaten niedergeschlagen zu haben scheint." Nach Reitberger/Fuchs (1971: 69) dienen Science Fiction-strips „nicht der Einübung in bessere zukünftige Lebensweisen, sondern der Flucht in (meist) ferne, futuristisch-archaische Welten, die dem Helden eine nur ihm zustehende Form der Selbstverwirklichung oder ideellen Befriedigung gestatten." In diesem Zusammenhang konstatiert Schröder (1982: 14 f.): „Die utopische Sehnsucht sucht sich in der Paraliteratur [das ist der von Schröder verwendete Überbegriff für Formel- und Unterhaltungsliteratur, P.K.] eine Zuflucht, und so läßt sich vielleicht verstehen, weshalb diese Art von Literatur im großen und ganzen in allen Klassen und von allen Bildungsschichten gelesen wird. [...] Eine Verbindung zur Wirklichkeit und zu unserer gemeinsamen Verantwortung dafür, den Kampf um die Utopie selbst zu verwirklichen - das findet man in der Paraliteratur kaum. [...] SF hält in diesem Zusammenhang mehr Träume bereit als andere Paraliteratur, da sie in sich alle literarischen Modelle aufnehmen kann. Hier finden sich nicht nur Träume vom Glück und von der Gerechtigkeit, sondern auch von der Auflehnung gegen soziales Unrecht und Unterdrückung (auf fremden Planeten), von einer besseren Zukunft (dank der Wunder der Technik) und nicht zuletzt von einer Teilhabe an der Gesellschaft (z.B. als Weltraumpionier und Gründer einer neuen Gesellschaft). Ein stärkerer Gegensatz zu dem Ohnmachtsgefühl der realen Umgebung läßt sich kaum denken." In seinen 1927 erstmals veröffentlichen Sternstunden der Menschheit schreibt Zweig (1987: 182) zur Entwicklung dieses Jahrhunderts: „Das zwanzigste Jahrhundert blickt nieder auf geheimnislose Welt. Alle Länder sind erforscht, die fernsten Meere zerpflügt. [...] Das Wort »Terra incognita« der alten Landkarten und Weltkugeln ist von wissenden Händen überzeichnet, der Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts kennt seinen Lebensstern. Schon sucht sich der forschende Wille neuen Weg, hinab zur phantastischen Fauna der Tiefsee muß er steigen oder empor in die unendliche Luft. Denn unbetretene Bahn ist nur noch im Himmel zu finden, und schon schießen im Wettlauf die stählernen Schwalben der Aeroplane empor, neue Höhen und neue Fernen zu erreichen, seit die Erde der irdischen Neugier brach ward und geheimnislos."

[59] Lettkemann (1986: 352).

[60] Mjasnikow (1952: 3-4). Auch dem Märchen wurde im Sinne des sozialistischen Realismus in den 50er Jahren diese Funktion zugewiesen. Nachdem unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg das Thema Märchendichtung in der DDR aufgrund des Mißbrauchs dieser Gattung zu Zeiten des Nationalsozialismus ein Tabu darstellte, kam 1952/53 eine vorsichtige Diskussion auf, in der es vor allem darum ging, das Märchen auch für die sozialistische Literatur „salonfähig" zu machen. Hinter der Umwandlung der Phrase: „Es war einmal..." in die Phrase: „Es wird einmal sein..." steht die Intention, in dem sozialistischen Märchen eine realistische Kunstform zu sehen, die mit phantastischen Mitteln zeigt, was in der Zukunft Wirklichkeit werden wird. „Wie sich alles innewohnenden Gesetzen zufolge wandelt, muß sich auch das Märchen von einst in ein Märchen von morgen wandeln. Nicht Flucht mehr ist es aus der Ausweglosigkeit eines armen, geknechteten Lebens; nicht Hilfe sucht der Mensch bei überirdischen Wesen und Geistern aller Art - im Besitz seiner Erkenntnisse und Erfahrungen von Generationen her weiß er seinen Weg und macht sich Dinge nutzbar und zu eigen, die früher Feinde waren; Technik und Natur werden zu Freunden und Helfern, und seine kühne Phantasie malt ihm Bilder einer schönen, glücklichen Zukunft, die er mit eigener Kraft erreichen wird.", Kraeger (1953: 10-11).

[61] Simon/Spittel (1988: 6) bezeichnen den Terminus „Wissenschaftliche Phantastik" als unglückliche Übersetzung aus dem Russischen, es sollte besser „Wissenschaftsphantastik" heißen.

[62] Z.B. formuliert Fahlberg (1956: 322) im Nachwort zu seinem Buch Erde ohne Nacht: „In dem vorliegenden Roman war der Verfasser bemüht, sich möglichst selten auf das Gebiet der Utopie zu begeben. [...] Gewiß, es wäre interessant gewesen, auch seltsame Lebewesen als Bewohner fremder Planeten auftreten zu lassen. Doch damit verlöre der Roman die exakte Grundlage, und ein Abgleiten ins Spekulative wäre unvermeidbar."

[63] Lettkemann (1980) benutzt dieses Zitat als Überschrift eines Artikels über die Weltraum-Serie des MOSAIK von Hannes Hegen, ohne die Zitat-Quelle anzugeben.

[64] Mit ähnlichem Tenor schreibt Bagemühl (1952: 101) im Nachwort zu Das Weltraumschiff: „Und was von der Wissenschaft im allgemeinen gilt, das gilt in besonders hohem Maße von der Kernphysik [.. .] Gerade diese Wissenschaft ist berufen, unsere Lebensmöglichkeiten in ungeahnter Weise zu erweitern. Einer der ersten, die dies erkannt haben, war der Schöpfer der großen sozialistischen Sowjetunion, Wladimir Iljitsch Lenin. Lange bevor die Atomwissenschaft ihre ersten bescheidenen Erfolge errang, schrieb er schon im Jahre 1920, als er die Elektrifizierung seines Landes einleitete, die prophetischen Worte:

  • Es öffnet sich eine blendende Perspektive in der Richtung der radioaktiven Elemente. Die Chemie wird zu einem Teil der Elektrizitätslehre. Die Elektrotechnik führt uns zu den inneren Energiereserven des Atoms.
    Die Morgenröte einer neuen Zivilisation hebt an.

Wir jungen Pionieren schreiten in diese Morgenröte hinein und werden uns ihrer strahlenden Schönheit würdig erweisen. Seid bereit, immer bereit!"

[65] Simon/Spittel (1988: 24).

[66] Gerade die SF bietet ja die Möglichkeit der Vereinfachung, indem reale und gegenwärtige Prozesse und Konstellationen in eine futuristisch-fiktive Welt übertragen werden, die der real-irdischen vorweggenommen, also in keiner Weise an ihr prüfbar ist.

[67] 1967 wurde die Serie nochmals in der Berliner Zeitung publiziert, allerdings hatte der Autor die Panel allesamt neu gezeichnet und den Text der veränderten politischen Situation gemäß umgestaltet. Aus dem in der Urfassung westdeutschen Piloten Wilhelm Haberkorn aus Hannover wurde beispielsweise in der Neubearbeitung Juri S. Stepanowitsch aus Irkutsk (s. hierzu Lettkemann/Scholz (1994: 52 f.)). Ab März 1973 veröffentlichte Erich Schmitt in der Berliner Zeitung die Folgeserie Aloa, der 5. Planet, 1975 erschien als weitere Fortsetzung die Serie Der Weltraum-Katamaran. Ein letzter Teil folgte 1979 mit Auf Tierfang im Kosmos.

[68] Vgl. Kap. 2.1.2.4.

[69] Leider hat Vollprecht (1994) in ihrer Arbeit zur SF-Literatur für Kinder in der DDR die Messeabenteuer 1999 nicht beachtet. Ihr Urteil über die SF-Literatur für Kinder in der DDR in den 50er Jahren fällt dadurch zu undifferenziert aus. Diesem Buch kann man eben nicht einen „Mangel an erzählerischen Momenten", „deskriptive Ausschweifungen`, „politisch ideologische Agitation`, „pathetische Sprache" oder die „Gestaltung von Helden als Alibifiguren, die die Unterweisungen und Belehrungen des Lesers durch den Autor legitimierten", vorwerfen.

[70] Bender (1956: 5). Ein weiterer Hinweis findet sich auf S. 80, wo in einem Zeitungsbericht auf die „barbarischen Schmökerzeiten, die ein halbes Jahrhundert zurückliegen", verwiesen wird.

[71] Siehe Kap. 2.1.1.

[72] Wie bereits erläutert, ließ sich die Überlegenheit des Sozialismus mit den Mitteln der SF besonders gut darstellen. Wenn es auch im MOSAIK von HANNES HEGEN nur darum gehen sollte, stellt sich die Frage, wieso der SF-Charakter der Weltraum-Serie nicht durchgehalten werden konnte.

Abb. 15

Die Reise zu den Proximanen, Folge 1, Wochenpost, Nr. 1, 1956