Auszüge aus veröffentlichter Sekundärliteratur zum Mosaik von Hannes Hegen . Diese Zitate sollen die Diskussion der Heftbesprechungen im Digedags-Forum unterstützen. Der Text wurde Printmedien entnommen, Flüchtigkeits- und Übertragungsfehler bitte ich unkommentiert zu entschuldigen. Hier geht es zur Hauptseite: www.mosafilm.de
Zitat aus: Petra Kock, Das Mosaik von Hannes Hegen, Entstehung und Charakteristika einer ostdeutschen Bildgeschichte, Logos Verlag Berlin, 1999, S. 133-143

Der Versuch, das MOSAIK VON HANNES HEGEN von einem Abenteuerheft in eine Zeitschrift umzuwandeln: 1957 bis 1959/60
Die Weltraum-Serie
Inhaltlich-dramaturgische Analyse / Hefte 1-5
(Mosaik 25-29)


Die folgende Analyse, die den beschriebenen Überlegungen nachgehen soll, konzentriert sich auf den ersten Teil der Weltraum-Serie, d.h. die Hefte Nr. 25/Dezember 1958 bis Nr. 45/August 1960. Zur Vereinfachung werden diese 20 MOSAIK von HANNES HEGEN - Ausgaben im folgenden als „Heft 1" bis „Heft 20" (der Weltraum-Serie) bezeichnet [73]. Die Betrachtung des Serienaufbaus zeigt, daß innerhalb der Weltraum-Serie keine stringente Geschichte, die von Episode zu Episode führt, erzählt wird. Daß man dennoch von einer Serie sprechen kann, ergibt sich aus dem Vorhandensein bestimmter inhaltlicher und gestalterischer Elemente, die heftübergreifend eine gewisse Einheitlichkeit stiften. Zu diesen verbindenden Elementen gehören die Erläuterung von populärwissenschaftlichen Themen auf der Rückseite und von Industriethemen im Heftinnern, Aspekte der Science Fiction und innerhalb der ansonsten uneinheitlichen Geschichte die Einflechtung eines Agentenstranges. Allerdings schließt die Verbindungsleistung dieser Elemente jeweils unterschiedliche Hefte zu einem auf das betreffende Element bezogenen einheitlichen Abschnitt zusammen. Die Struktur der Weltraum-Serie wird also von mehreren Faktoren beeinflußt und erhält dadurch einen relativ komplexen Charakter. [....] Während die Hefte 1-4 im Weltall spielen, bildet in den übrigen Heften 5-20 der Planet Neos den Schauplatz. Dabei vollzieht sich das Geschehen auf dem Neos in Heft 5 zunächst in der Hauptstadt der Republikanischen Union, um anschließend an wechselnden Orten des Landes weiterentwickelt zu werden. Motivischer Aufhänger für den Ortswechsel ist eine Besichtigungs-Rundreise durch die Republikanische Union, auf die sich die Digedags und Sinus Tangentus in Heft 6 begeben. Allerdings wird einzig in Heft 7 noch einmal direkt Bezug auf die „Besichtigungsreise" genommen, danach wird dieses Motiv fallengelassen. Die Ortswechsel ergeben sich ab Heft 8 aus der Handlung. So begleiten die Digedags [74] bis Heft 10 Professor Schlick, danach agieren sie an der Seite von Tonio Turbo, Doktor Schluck u.a., wobei sie nicht mehr als ausgewiesene Besucher auftreten. Schließlich werden sie am Ende von Heft 17 sogar von der Polizei zu Detektiven ernannt und reisen im nächsten Heft gewissermaßen dienstlich in den Urwald, um den Spion Mac Gips zu jagen. [...]

Hefte 1-5

Die Hefte 1 bis 5 erzählen eine Geschichte, deren Handlung sich aus zwei verschiedenen Motiven konstituiert: der Forschungsreise durch das All, bei der auf verschiedenen Planeten bestimmte Aufgaben erledigt werden müssen, und der Konfrontation mit feindlichen Agenten. Der Aufhänger für die neue Serie ist die Suche nach einem Meteor, der nach Sinus Tangentus' Beobachtungen angeblich über der Sahara abgestürzt ist. Als Sinus Tangentus und die Digedags in der Wüste nach dem Meteor suchen, werden sie von einem Straußenvogel zu einer Rakete geführt, die sie als solche jedoch nicht identifizieren können. Der Kapitän des Raumschiffes, das aus der Republikanischen Union des fremden Planeten Neos stammt, startet die Rakete in dem Moment, in dem die Exemplare irdischen Lebens das für sie merkwürdige Ge bilde betreten [75]. Ein auf die Erde gestürzter Meteor als Aufhänger einer SF-Story ist ein gerade in der damaligen Zeit in der SF-Literatur gern benutztes Handlungsmotiv. Z.B. nimmt Lern in Planet des Todes die Theorie zum Ansatzpunkt seiner Geschichte, daß der 1908 über Sibirien abgestürzte „tungusische Meteor" ein Raumschiff mit Venusbewohnern gewesen sei. Die Parallele zum MOSAIK VON HANNES HEGEN durch die Entpuppung eines Meteors als außerirdische Rakete liegt auf der Hand. Von allen bis dahin erschienenen SF-Geschichten unterscheidet sich das MOSAIK VON HANNES HEGEN aber darin, daß gleich am Anfang der Geschichte Außerirdische agieren. In der DDR-SF-Literatur der 50er Jahre findet eine Begegnung mit Außerirdischen - wenn es überhaupt dazu kommt - erst gegen Ende der Handlung als Finale statt 76. Erst ab 1959 wird das mit Eberhard del'Antonios [77] Buch Titanus, das eine interplanetarische Revolution beschreibt, anders. Die Konstellation im MOSAIK VON HANNES HEGEN unterscheidet sich außerdem von anderen SF-Geschichten dadurch, daß die Erdenwesen, Sinus Tangentus und die Digedags, von den Neonern als Exemplare einer fremden Lebensform betrachtet werden. Das Prinzip des „Außerirdischen" wird in das Prinzip des „Außerneonischen" verkehrt. Indes stellen die Neoner, deren Planet die zwei Staaten Republikanische Union und Großneonisches Reich beheimatet, ein verkleidetes Abbild der irdischen, vor allem deutschdeutschen Verhältnisse dar. Die Namen der Staaten spielen deutlich auf die innerdeutsche Frontstellung an; im Gegensatz zwischen den schwarzen Uniformen der großneonischen Düstermänner und den lichten Erscheinungen der Republikaner manifestiert sich ebenfalls, worum es geht: um eine Schwarz-Weiß-Malerei und Abbildung des Kalten Krieges [78]. Ein sehr anschauliches Beispiel dafür liefert der Vergleich zwischen Abb. 16 und Abb. 17. In beiden werden Gerichtsverhandlungen gezeigt, jedoch gibt Abb. 16 das Verfahren gegen Peer Tyla vor dem republikanischen Bordgericht wieder, während in Abb. 17 die Digedags als Spione vor einem großneonischen Gericht stehen. Die Farbgebung der Uniformen verleiht, wie schon angedeutet, dem Begriff der Schwarz-Weiß-Malerei überaus markant seine buchstäbliche Bedeutung: Während die Republikaner weiße Uniformen tragen, sind jene der Großneoner schwarz. Diese Kontrastierung setzt sich bis in die Details fort. So ähnelt das Signet auf dem Ärmel von Gun Nohar, dem großneonischen Kommandanten, nicht von ungefähr einem Hakenkreuz, das Abzeichen auf den republikanischen Uniformen fällt dagegen betont neutral aus. Weiteres spezifisches „Kleidermerkmal" ist auf seiten der Großneoner die Kappe des Kommandanten, die stark an die Kopfbedeckung us-amerikanischer Polizisten erinnert, sowie die große, auf Hüfthöhe im Futteral steckende Pistole. In der äußeren Erscheinung des Kommandanten findet sich also bestätigt, was sein Name „Gun Nohar" an Konnotationen weckt: eine schwarze (von frz. noir = „schwarz") Gestalt mit Schußwaffe (von engl. gun = „Schußwaffe"). Was die Körperhaltung der Gerichtsvorsitzenden betrifft, sehen wir Bhur Yham in Abb. 16 aufrecht stehend und mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger gefaßt und bestimmt auf den angeklagten, ebenfalls stehenden Peer Tyla weisen. Die übrigen im Bild zu sehenden Besatzungsmitglieder folgen gebannt und ernst dem Geschehen. Der aufgebrachte Gun Nohar beugt sich demgegenüber in Abb. 17 weit über den Tisch, um von oben herab die von zwei Schergen in die Luft gehaltenen Digedags anzufahren. Auch in der Physiognomie und Mimik geben sich Gun Nohar und seine beiden Schergen als ausgemachte Schurken zu erkennen. Lange krumme Nasen, den Mund entweder weit aufgerissen oder zu einem hämischen Grinsen verzogen und die Brauen genüßlich geschürzt: Diese Attribute lassen die Großneoner wie Verbrecher wirken. Weiterer Beleg für deren geballte Bosheit ist ihr pechschwarzer Jagdhund im Vordergrund, der geifernd und mit heraushängender Zunge die Digedags zähnefletschend ins Visier nimmt. Hinter dem Kommandanten hängt das Portrait eines (wie Kappe und Kragenbesatz annehmen lassen) Militärbefehlshabers, vermutlich des Führers des Großneonischen Reiches. Sein wuchtiges Gesicht ist stark übertrieben und verzerrt abgebildet, es macht einen plumpen, brutalen und debilen Eindruck, so daß der großneonische Reichsführer als faschistischer Despot erscheint. In Kontrast dazu zeigt das republikanische Führerportrait hinter Bhur Yham in Abb. 16 das vergleichsweise realistisch wiedergegebene Gesicht eines Mannes in Zivil. In seiner Wohlproportioniertheit und von einer Art Halskrause gestützt strahlt dieses Gesicht Würde aus. Aber nicht nur hinsichtlich des Führerbildes, auch generell unterscheiden sich die Verhandlungsräume deutlich voneinander. Das republikanische Bordgericht tagt in einem großzügigen, hellen und klar und übersichtlich gestalteten Raum. Auf der großneonischen Seite ist die Wand konfus in mehrere unterschiedlich große, rechteckige Farbflächen unterteilt. Direkt neben dem Führerbild hängt die Karte eines Planeten (vermutlich des Neos), in die ein Gitternetz eingezeichnet ist, was ihr den Charakter einer militärstrategischen Abbildung der Gebietsaufteilung (auf dem Neos) verleiht. In diesem Raumdetail finden somit die vermeintlichen expansionistisch-imperialistischen Bestrebungen des Großneonischen Reiches Niederschlag. Alles in allem zeigen die beiden Abbildungen eine prinzipiell gleiche Situation, eine Gerichtsverhandlung, in zwei diametral entgegengesetzten Ausformungen. Die Verhandlung vor dem republikanischen Bordgericht verdient offenbar tatsächlich diesen Namen: Mit der Teilnahme von Zuhörern ist sie öffentlich und mit drei Beisitzern im Bordgericht scheint die Gefahr eines Willkür-Urteils ausgeräumt, die Anklage wird „juristisch korrekt" vorgetragen und der Angeklagte hat genauso „juristisch korrekt" die Möglichkeit, sich zu verteidigen und die Anschuldigungen von sich zu weisen. Kurz, Abb. 16 verdeutlicht die Lauterkeit der republikanischen Rechtssprechung. Das genaue Gegenteil, das für ein Unterdrücker-Regime wie das Großneonische Reich kennzeichnende unrechtmäßige, verbrecherische Aburteilen ohne Anhörung der Angeklagten, bringt Abb. 17 zum Ausdruck. In der Quintessenz steht hier also die friedliebende Gerechtigkeit der Republikanischen Union der menschenverachtenden Ungerechtigkeit des Großneonischen Reiches gegenüber.

Abb. 16

Mosaik Heft 28 (4),
Seite 3, Bild 3

Abb. 17

Mosaik Heft 28 (4),
Seite 15, Bild 2

Vermittels einer Agenten-Geschichte kommt die Redaktion des MOSAIK VON HANNES HEGEN konkret der Forderung des Chefredakteurs Dornhof nach (s. S. 126), die Überlegenheit des Sozialismus und seiner Errungenschaften am Beispiel der Eroberung des Weltalls zu zeigen. Die Großneoner, deren Auftrag darin besteht, sich des hochmodernen republikanischen Raumschiffes oder zumindest der Baupläne zu bemächtigen, werden, nachdem ihre „Blechkiste" den Flug durch einen Meteoritenschwarm nicht überstanden hat, von den Republikanern gerettet, womit neben der technischen auch die moralische Überlegenheit der Republikaner vorgeführt wird 79. Es spricht dem hohn, daß zur Darstellung der Überlegenheit des republikanischen (bzw. des deutsch-republikanischen oder sozialistischen) Lagers „als Fundgrube und Informationsquelle über den neuesten Stand der Technik" eine westdeutsche Technik-Zeitschrift herhielt [80]. Die mit dem Agenten-Strang verbundenen Handlungsmuster gefährlicher Situationen durch Meteoritenschwärme, eine Sabotageaktion im All sowie eine Rettungsaktion entsprechen gängigen Handlungsmustern und Motiven der damaligen SF-Literatur. Ebenso verhält es sich mit anderen Handlungselementen wie der Erforschung des Mondes, der Erklärung technischer Aspekte des Raumfluges, einer künstlichen Sonne oder der Erkundung von Planeten, auf denen das Leben durch atomare Katastrophen vernichtet worden ist. Für die Erklärung technischer Aspekte des Raumfluges und chemisch-physikalischer Weltraum-Fakten fungieren die Digedags und Sinus Tangentus als sogenannte „Weltraumbabies" [81], da sie aus einer irdischen Zeit, in der solche Gegebenheiten völlig unbekannt waren, in die neue Serie gelangt sind. Der Gefahr, den Leser mit zu vielen Erklärungen zu langweilen, wirken die Variabilität in der Darstellung der Erklärungen und das Bemühen, diese Erklärungen organisch in die Handlung einzubauen, entgegen. In Heft 1 werden Erläuterungen auf zweierlei Weise gegeben. Zum einen sieht der Leser auf S. 10 einen Längsschnitt durch das Raumschiff, der die Anordnung der einzelnen Bereiche in den verschiedenen Etagen illustriert, zum anderen bekommen die Digedags und Sinus Tangentus zweimal einen Sachverhalt von Bhur Yham erklärt. Gegenüber dem Schaubild wirkt die zweite Erklärungsvariante merklich lebendiger, da sie direkt in die Handlung eingebunden ist. Die erste der zwei geschickt in die Handlung eingebetteten Erklärungen in Heft 1 zeigt Abb. 18. Von der plötzlich herrschenden Schwerelosigkeit irritiert und verunsichert, sucht Dig an einem Feuerlöscher nach Halt. Er setzt dabei aus Versehen den Feuerlöscher in Gang, dessen Druck in der Schwerelosigkeit für ein turbulentes Im-Kreis-Fliegen der einander festhaltenden Figuren Dig, Peer Tyla, Sinus Tangentus und Dag sorgt. Durch das unkontrollierte Herumfliegen der Figurenkette kommt schließlich ein Gefäß mit „kostbarer" Mondluft zu Bruch, bevor die Beschleunigung des Raumschiffes mit der wiedereinsetzenden Schwerkraft die Feuerlöscher-Flugeinlage jäh beendet. Anschließend motiviert Sinus Tangentus' Frage nach dem Grund für dieses „Herumrasen" Bhur Yham zu einer Erklärung des Rückstoßprinzips anhand eines schematischen Tafelbildes. Die sehr bewegte Handlung geht dadurch nahtlos in eine theoretische Erklärung eines physikalischen Phänomens über. Eine wesentliche Voraussetzung für dieses organische Nebeneinander von Aktion und Wissensvermittlung liegt darin begründet, daß die Erklärung an die Handlung und somit an die konkrete Erfahrung der Figuren, in diesem Fall der Digedags und Sinus Tangentus', gekoppelt ist und sich an die betreffenden Figuren wendet. So ist es im Beispiel der letzten beiden Panel in Abb. 18 für die harmonische Einbettung der Erläuterung zum Rückstoßprinzip von tragender Bedeutung, daß Sinus Tangentus mit seinen Fragen die Erklärungen anregt und sich Bhur Yhams Darlegungen auch an ihn und die Digedags wenden. Aus der Erläuterung wird somit ein schlüssiges Handlungselement der Feuerlöscher-Epsiode, die ihrerseits integrativer Bestandteil der Gesamt-Handlung des Heftes wird, indem sie mit dem Zerbrechen des Mondluft-Gefäßes ein neues Handlungsmoment, die Notwendigkeit einer zweiten Mondlandung zum Einfüllen einer Mondluft-Probe, liefert. Durch die Teilnahme der Digedags und Sinus Tangentus' an diesem zweiten „Mondspaziergang" ergibt sich in variierter Form für Bhur Yham wiederum die Möglichkeit, die unkundigen Erdenbewohner aufzuklären, diesmal über die einstmals vorhandene Atmosphäre, die um fünf Sechstel geringere Schwerkraft und die Topographie des Mondes. Neben den populärwissenschaftlichen Erklärungen im Heft, innerhalb der Handlung, gibt es mit Beginn der Weltraum-Serie populärwissenschaftliche Erklärungen auf den Heft-Rückseiten, die außerhalb der Handlungen stehen. Diese Neuerung führt zu der Annahme, daß die populärwissenschaftlichen Erklärungen Bestandteil der Forderungen des Chefredakteurs oder anderer ideologischer Verantwortlicher waren. Daß diese Forderung mit der Vorgabe politischer Intentionen verbunden war, indiziert die Episode auf dem toten Planeten Nucleon. Hier wird ein SF-Thema, das sich nicht notwendig aus der konstruierten Handlung ergibt, im Sinne einer ideologischen Intention [82] abgearbeitet und als literarisches Muster sehr grob, mehr plakativ vorführend als erzählend umgesetzt wird. Diese Art der Oberflächlichkeit steigert sich am Ende der Episode ins Unglaubwürdige, als die Expedition auf dem verseuchten Planeten Nucleon Tiere aussetzt, die neues Leben erzeugen sollen. Das Unglaubwürdige wird von formeller Seite gestützt, indem der Serien-Kosmos durch das Aussetzen irdischeuropäischer - nicht neonischer - Haustiere gestört wird. Das Abarbeiten der ideologischen Intention dokumentiert hier nicht zuletzt die Rückseite des Heftes „Die neue Sonne", die direkter als die vorhergehenden Heft-Rückseiten mit dem Heftinhalt korrespondiert. Hier wird dem Leser die Moral der Episode auf dem Nucleon unterbreitet: „ZERSTÖRUNG ODER BLÜHENDES LEBEN? Diese Entscheidung liegt in den Händen der Menschen, die über die gewaltige Kraft der Atomkernverschmelzung gebieten. Es ist die Kraft der Sonne, der wir unser Dasein verdanken und deren Geheimnis die Wissenschaftler erforscht haben. Auf unserer Erde muß die Atomenergie für ein glückliches und friedliches Leben angewendet werden." Die Rückseite unterwandert, wenn sie mit der Heft-Handlung in Verbindung gebracht wird, den fiktiven Charakter der erzählten Geschichte, indem sie einen real-geschichtlichen Bezug herstellt. Das Atomzeitalter, die Atomtechnologie sowie die Frage ihrer Entwicklung und Nutzung waren wichtige Themen des Kalten Krieges. 1952 wurde die erste Wasserstoffbombe durch die Amerikaner zur Explosion gebracht. Im August 1953 konnte dann die Sowjetunion mit ihrem Wasserstoffbombenversuch nach dem damaligen sozialistischen Verständnis auch die letzten Illusionen auf eine Überlegenheit der USA-Kernwaffentechnik „hinwegfegen". Seit der ersten Atomkonferenz im August 1955 liefen immer wieder Sensationsmeldungen über die Fortschritte bei der Steuerung von Kernverschmelzungsprozessen durch die Medien. Es handelte sich dabei um dem Versuch, die der Explosion der Wasserstoffbombe zugrunde liegende thermonukleare Reaktion unter Kontrolle zu bringen, um soviel Energie zu gewinnen, daß der Mangel an Elektrizität auf der ganzen Welt beseitigt würde. Indem die Rückseite des MOSAIK-Heftes „Die neue Sonne" mit der Handlung im Heft korrespondiert, diese kommentiert und gleichzeitig den real-historischen Bezug herstellt, erhält die von Ingstorn erfundene künstliche Sonne die Bedeutung des realprognostischen „Es wird einmal sein...". Aus dieser Sicht wurde dann auch nicht ein SF-Motiv, sondern ein populärwissenschaftliches Thema im Sinne einer ideologischen Intention abgearbeitet. Der Personenkreis der Serie besteht zunächst aus den Besatzungen der neonischen Raumschiffe. Während des Aufenthalts in den Raumstationen und der Landung auf dem Planeten Neos wechselt das Figurenensemble um die Digedags fließend, d.h. die alten Figuren werden nicht vollständig und abrupt durch neue Figuren ausgetauscht. Mit der Landung auf dem Planeten Neos fällt das die Handlung vorantreibende Motiv der Forschungsreise weg. Dafür gewährleistet der Agenten-Handlungsstrang die Fortsetzung der begonnenen Geschichte auf dem Planeten Neos. Durch die Gestaltung eines cliff hangers [83] am Ende des vierten Heftes wird die Handlung an dieser Stelle außerdem dramatisiert bzw. die gespannte Aufmerksamkeit des Lesers geschürt. Die Digedags, die dem in die großneonische Raumstation geflüchteten Peer Tyla gefolgt sind, werden dort entdeckt. Als Lockvögel sollen sie dazu beitragen, auch das dritte Erdenwesen, Sinus Tangentus, in die Gewalt der Großneoner zu bringen. Als großneonische Schergen die republikanische Raumstation mit allen drei irdischen Gestalten per Raumtaxi verlassen, werden sie von zwei Wachmännern entdeckt, verfolgt und schließlich über dem republikanischen Gebiet des Neos abgeschossen. Lettkemann (1986: 354) hat bereits darauf hingewiesen, daß diese unfreiwillige Notlandung der Großneoner auf republikanischem Gebiet wohl ihre realgeschichtliche Vorlage in dem Luftzwischenfall vom Juni 1958 hat, als ein amerikanischer Hubschrauber zu einer Notlandung auf dem Gebiet der DDR gezwungen wurde [84].
Abb. 18

Mosaik Heft 25 (1),
Seite 8-9

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[73] In der Aufstellung aller MOSAIK VON HANNES HEGEN-Hefte mit Heftnummer, Titel und Veröffentlichungsdatum im Anhang B, S. 392, ist diese Nummerierung für den ersten Teil der Weltraum-Serie in eckigen Klammern angegeben. [74] Sinus Sinus Tangentus ist ab Heft 7 von der Bildfläche verschwunden und tritt nur in Heft 15 auf einer Faschingsfeier nochmals kurz auf. Wie er den Digedags erklärt, ist er „jetzt leitender Ingenieur eines Elektrizitätswerkes. Die Arbeit macht mir Freude" (Heft 15, S. 8). Vgl. hierzu Fn. 107, S. 161.

[75] Geht man davon aus, daß die Weltraum-Serie gegen den Willen der MOSAIK-Redaktion angeordnet wurde, drängt sich unweigerlich der Verdacht auf, daß der Übergang von der Römer- zur Weltraum-Serie nicht ohne Hintergedanken als Entführung gestaltet wurde. Lettkemann/Scholz (1994: 32) stellen diese Vermutung als zutreffend dar, ohne indes diese Information zu belegen.

[76] Eine Ausnahme bildet Tureks Die goldene Kugel. Die Venusmenschen lassen darin ihre „Goldene Kugel" auf die Erde fallen und legen daraufhin u.a. die Elektrizitätsversorgung der gesamten USA lahm, agieren also auf der Erde.

[77] Hinsichtlich der Motiv-Wahl gibt es zwischen del'Antonios SF-Romanen und der Weltraum-Serie besonders viele Übereinstimmungen (z.B.: Einschienenbahn; Tragflächenboot; elektrisch betriebene Autos mit automatischem Abstandhalter; Versuch von Agenten, Akten zu stehlen, der mißgünstige Kollege, Sabotage im Werk, Saboteur entkommt mit einem Hubschrauber; die Innengestaltung des Raumschiffes, Speise-Automaten; der Gag mit der Schwerelosigkeit; Atomvemichtungsstory und künstliche Sonne; Bordgericht; Rundreise auf einem fernen Planeten). Natürlich sind viele der genannten Motive keine Neuentdeckungen von del'Antonio, doch ist es auffällig, daß viele der in der Weltraum-Serie verwandten SF-Motive sich gehäuft bzw. konzentriert in del'Antonios Büchern wiederlinden. Nach Wolfgang Altenburger (mein Gespräch mit Altenburger) haben sich Hegenbarth und del'Antonio nicht nur gekannt, del'Antonio hat - als Begründer eines Büros für Erfindungswesen (was eine Anregung für die Episode im Patentamt, Heft 9, gewesen sein mag) - Hegenbarth für die Weltraum-Serie beraten.

[78] Vgl. hierzu Lettkemann (1980: 25): „Die politischen Verhältnisse auf dem Neos entsprechen denen des Ost West-Konfliktes und speziell denen des geteilten Deutschlands zur Zeit des Kalten Krieges. Eine friedliebende sozialistische Staatsform, die Republikanische Union (Assoziation: die sozialistische Staatengemeinschaft unter Führung der Sowjetunion!), steht einer imperialistischen Feindmacht, dem Großneonischen Reich (Assoziation: die revanchistische BRD innerhalb der NATO!), gegenüber. [...] Die selbstlosen und siegreichen Protagonisten der Republikanischen Union sollen die Überlegenheit des neuen Menschentyps im Sozialismus demonstrieren. Die heimtückischen Klassenfeinde werden in den schwärzesten Farben gezeichnet und das in doppeltem Sinn des Wortes. Während die Mannschaft des republikanischen Schiffes weiße Uniformen trägt, sind ihre Gegner wie die faschistische SS ganz in schwarz gekleidet."

[79] "Ein interessantes Beispiel für die Wirkung des MOSAIK VON HANNES HEGEN bietet die von Vollprecht (1994: 102 f.) in einer Anmerkung erwähnte Erzählung „Die große Chance" von Ingo Meusel aus Riesa. Diese Lesererzählung wurde im technikus, Nr. 6, 1968, veröffentlicht. Die Grundidee - ein durch Meteoritenschlag gefährdetes Raumschiff amerikanischer Herkunft wird durch eine sowjetische Rakete gerettet - entspricht dem oben genannten Handlungsschema von Heft 2 der Weltraum-Serie.

[80] Dräger, L. (1990: 112). Siehe auch Kramer (1993), der diesem Hinweis von Dräger in seinem ersten MosaikFan-Buch nachgegangen ist.

[81] Insbesondere in den Werken der SF-Literatur, die den Raumflug als technisches Phänomen an sich zum Gegenstand haben, fungiert häufig eine unwissende Figur als Vehikel zur Erklärung technischer Aspekte. In diesem Zusammenhang kann diese Figur auch für Komik sorgen, wie beispielsweise Lazzari, das „Weltraumbaby" aus del'Antonios Roman Titanus, der - ebenso wie Dig in Abb. 18 - in Unkenntnis der Schwerelosigkeit nach einem Gegenstand (hier ist es eine Trinkflasche) greift, um daran Halt zu finden.

[82] Das atomare Desaster, in dessen Folge alles Leben vom Nucleon getilgt worden ist, wird gemäß der Rahmenkonstellation ideologisch zugeordnet. Steigende Börsenkurse und Rüstungsanstrengungen in der kapitalistischen Sphäre haben danach zum Atomwaffeneinsatz geführt. Über das Vermächtnis des Wissenschaftlers Professor Ingstorn (der Name ähnelt phonetisch dem Einsteins) wird die Problemstellung des Galileo Galilei von Bertolt Brecht thematisiert. Das 1939 im Exil verfaßte Leben des Galilei veröffentlichte Brecht 1955 in der DDR unter dem Titel Galileo Galilei. Als mustergültiges Beispiel der DDR-Literatur für die Vertretung der ideologischen und moralischen Bildungsinteressen stand dieses Werk auf dem Deutsch-Lehrplan der 12. Klasse.

[83] Erläuterung des Begriffes s. Fn. 39, S. 264. [84] Nach Dräger, L. (1990: 101) bekamen die MOSAIK-Redaktion sowie ihr Chefredakteur Ärger mit dem Zentralrat der FDJ, der anmahnte, keinen Krieg in den Weltraum zu verlegen.