Auszüge aus veröffentlichter Sekundärliteratur zum Mosaik von Hannes Hegen . Diese Zitate sollen die Diskussion der Heftbesprechungen im Digedags-Forum unterstützen. Der Text wurde Printmedien entnommen, Flüchtigkeits- und Übertragungsfehler bitte ich unkommentiert zu entschuldigen. Hier geht es zur Hauptseite: www.mosafilm.de
Zitat aus: Thomas Kramer, Micky, Marx und Manitu, S. 323-328, Weidler Buchverlag Berlin, 2002


"Mosaik" vs. ästhetische Moderne in Text und Bild - zwischen persönlicher Antipathie und Auflagen der Produktionslenkung
Die verhinderte Moderne - objektive Gründe


Zu verifizieren wäre die These, daß „Mosaik" nicht bloß auf der Text-, sondern auch und vor allem auf der Bildebene einen Beitrag zur Blockierung der ästhetischen Moderne leistete.
Die Rolle Drägers in diesem Prozeß darf nicht unterschätzt werden: Seine Arbeit als Texter lediglich auf den Schrifttext beschränkt zu sehen, wäre eine angesichts der Interaktion von Wort und Bild des Comic völlig irrige Vorstellung. Ich halte es für richtig, den DDR-Comic als Teil (kinder)literarische(r) Entwicklungen im Kontext gesellschaftlicher Modernisierungen zu lesen."[935] Subsumierend kann natürlich an dieser Stelle nur der Anteil des „Mosaik" an gesellschaftlichen Modernisierungen und die indirekte Erfüllung seiner Aufgabe speziell auf literatur- und kunst- bzw. besser kulturpolitischem Terrain untersucht werden. Konstatiert Wild, daß zum Prozeß der Modernisierung die antimoderne Reaktion gehört, so läßt sich des weiteren seine Feststellung, daß derartige „Anti-Modernismen [...] nahezu ausschließlich im kulturellen und politischen Bereich zu finden (sind), kaum jedoch in den Feldern der Ökonomie und der ihr zugehörigen Technik" [936], erstaunlich klar an Drägers Biographie, Lesebiographie und deren Umsetzung im „Mosaik" verifizieren.[937]
Bereits Drägers Elternhaus ist ein Spiegelbild der Koppelung konservativer bis reaktionärer Ideologie mit Akzeptanz technologischer Innovation, wie sie beispielsweise auch von Wild als symptomatisch für die Zeit des Faschismus betrachtet wird. Dem in seiner Rollenverteilung streng hierarchisch gegliederten Elternhaus steht der Vater als Ingenieur, der bei der immer perfekteren Vernetzung der Eisenbahn - sie, und nicht wie in der Legende behauptet, die Autobahnen, wird die Hauptlast der Kriegstransporte tragen - in Deutschland mitwirkt, zumindest in einer Art Sekundärpatriarchalismus vor.[938] Jegliche technische Neuerung, als Beispiel wäre das Radio, das die Familie als erste im Dorf besaß, zu nennen, wird mit Begeisterung aufgenommen. Sehr gut spiegelt sich diese Ambivalenz dann auch in Drägers Jugendlektüre wieder: Heftchenhelden wie Jörn Farrow oder deutsche Ingenieure bei Dominik bedienen sich modernster Technologien (U-Boote; Kernenergie etc.) zur aggressiven Umsetzung reaktionären Gedankengutes im Dienste überholter sozialer Normen. Dieses Auseinanderdriften von technischer Modernisierung und ästhetischer Moderne findet dann in der Neos-Serie des „Mosaik" seine anschaulichste Umsetzung: Im gleichen Heft, in dem moderne Kunst diskreditiert wird, wird gleichzeitig technologischer Fortschritt, der sich da u.a. in Farbfernsehern, Fotoapparaten mit Sofortbildautomatik, Automatenrestaurants und einem hypermodernen Straßenbild dokumentiert, begeistert präsentiert.[939] „Mosaik" ist als unbestritten „geschlossenes System" m.m. als Mikrokosmos gesamtgesellschaftlicher Prozesse zu verstehen. „Begrenzte(r) Austausch, verhinderte Beziehungsaufnahmen, nicht existierende Öffentlichkeit"[940] - all diese Merkmale, die im Gesamtsystem „den Prozeß der Ausdifferenzierung behinder(n)"[941] - bedingten auch in untergeordneten Bereichen ein Verharren auf prämodernen Standpunkten. Die mögliche Beziehungsaufnahme und der Austausch zu bzw. mit anderen Künstlern jenseits des eisernen Vorhangs waren ab 1961 de facto abgebrochen. Die ab 1961 zumindest erheblich kompliziertere Zufuhr aktuellen Anschauungsmaterials erschwerte mögliche stilistische Entwicklungen auf der Grundlage dieser Vorbilder beim DDR-Comic.[942] Denn gerade erst mit Beginn der sechziger Jahre wurde - wie Knigge richtig feststellt - „das künstlerische und literarische Potential der Erzählform Comic [...] in Europa [...] entdeckt."[943] Neue Entwicklungen verschiedener - vor allem frankobelgischer - Künstler befruchteten einander. Das alles erklärt aber nicht schlüssig das Verharren, ja Einfrieren der Darstellungsformen des „Mosaik" auf dem Stand der fünfziger Jahre. „Mosaik" verschloß sich zudem nicht nur jeweils aktuellen zeitgenössischen Strömungen, sondern lehnt auch die ästhetische Moderne des 19. Jahrhunderts ab. Folgende Definition von künstlerischer Moderne beschreibt recht gut, was eben im „Mosaik" nach Willen ihrer Künstler, v.a. der stets maßgeblichen künstlerischen Leiter Hannes Hegen und Lothar Dräger, nicht „vorkam" bzw. nicht vorkommen durfte:
  • Moderne umfaßt danach
  • „die gesamte künstlerische Entwicklung ab dem Impressionismus, als die Relevanz des >Gegenstandes< für die Kunstproduktion durch die subjektivistische Wahrnehmung bzw. die >Empfindung< des Künstlers abgelöst wurde. Gleichzeitig mit der Moderne kam ein Modernismus auf, bei dem das Neue als künstlerisches Kriterium überragende Bedeutung gewann [...] Avantgarde enthält als Prinzip den totalen Traditionsbruch, das Experiment, den aggressiven Aktivismus, den Willen zur Umwertung aller Werte und in letzter Konsequenz sogar die Aufhebung der Kunst selbst." [944]

Wie zu zeigen ist, widersprachen die aufgeführten Punkte diametral dem Traditions- und Wertegefüge im Drägerschen Elternhaus sowie der von ihm rezipierten Literatur und früh und unter Anleitung konservativer Bezugspersonen zur Kenntnis genommener Kunst in Museen und Büchern. Ich verstehe das Comicprodukt „Mosaik" auch als Teil der bildenden Kunst der DDR. Preiß behauptet, daß „anders als die Kunst des Dritten Reichs und aller anderen antimodernen Strömungen [...] die Kunst der DDR nicht populär, gegen Ende des Staates auch nicht mehr populistisch"[945] gewesen wäre. In dieser Beziehung allerdings bildet „Mosaik", welches gleichermaßen populär und populistisch war, eine Ausnahme, wofür sich ein Hauptgrund wohl in der starken Orientierung an genannten herkömmlichen antimodernistischen Strömungen findet.
Im Unterschied zu anderen Kinder- und Jugendzeitschriften gab es für "Mosaik" - v.a. bis 1975 - kaum Öffentlichkeit im Sinne einer Diskussion mit und unter Lesern im Comic selbst.[946] Auch andere Medien nahmen „Mosaik" kaum wahr.[947] Als gewisse Zäsur mag die Abrafax-Revue von 1983 im „Palast der Republik" stehen. Der Stil des „Mosaik" fror stilistisch auf dem graphischen Niveau der fünfziger Jahre ein. Als Teil der kulturell-literarischen Sphäre vermochte „Mosaik" „einen wie auch immer gewichteten autonomen Status nie wirklich (zu) erreichen."[948] Auch ein Comic unterlag in der DDR der Produktionslenkung. Spätestens mit dem erzwungenen Abbruch der Rom-Serie 1958 und den folgenden Heften wurde auch Comic-Kunst in der DDR „zurückgeholt auf ihre vormoderne Funktion [...]."[949] Bei der Propagierung der Wirtschaftspolitik der DDR hatte nun auch die Comic-Zeitschrift Linientreue zu beweisen. Auch bei „Mosaik" sollte „das Nützlichkeitsgebot wie die Frage nach dem Gebrauchswert, die mit der ästhetisch verbrämten Formel der Volkstümlichkeit begründet wurden, [...] zu einem bewußten Verzicht bzw. einer Abwehr der ästhetischen Moderne"[950] führen. Das schließliche Ende der Planeten- und Erfinderabenteuer bedeutete 1964 keine völlige Abkehr vom didaktischen Konzept: Auch in den folgenden Jahren spielte die Verbindung zum Unterricht, die Vermittlung von Wissen eine wichtige Rolle. Die Rezipienten nahmen dieses Angebot ja auch über Jahrzehnte - und durchaus nicht nur in Ermangelung von Alternativen - begeistert an. Die Funktionalisierung des „Mosaik" ist jedoch keineswegs nur auf Zwang zurückzuführen. Gerade Lothar Dräger nahm die Gelegenheit, Wissensstoff - teilweise noch aus eigener Schulzeit - in einem populären Medium umzusetzen, freiwillig wahr. Gansel führt als Beispiel für den Abbildcharakter „der anders arbeitsteilig organisierten DDR-Gesellschaft mit veränderten Handlungsrollen und ihren spezifischen Makrokonventionen"[951] einer geschlossenen Gesellschaft die direkte Integration von produktionslenkenden Organen in die literarische Produktion an: Beim „Mosaik" nahm diese Rolle der - man muß schon sagen sogenannte - Chefredakteur wahr, dem lediglich Kontroll- und Aufpasserfunktion unterlagen. Wie entbehrlich dieses Amt für die direkte Arbeit am Comic war, belegt, daß Wolfgang Altenburger vom damaligen künstlerischen Leiter Hegen direktes „Hausverbot" erhalten hatte, und er sich bald kaum noch um „Mosaik", inklusive seiner ideologische Kontrollfunktion, kümmerte![952] Allerdings funktionierte eine antimodernistische „Schere im Kopf" der Künstler sowieso ohne dessen Einflußnahme. Als Teil der Kinder- und Jugendliteratur der DDR hatte auch „Mosaik" seinen „Klassenauftrag" zu erfüllen. Es wurde nicht nur von den produktionslenkenden Organen, sondern auch von seinen Machern „nach den Inhalten, Normen und Werten, die den Heranwachsenden zu vermitteln sind"[953] definiert. Das zeigt sich in Aufgabenstellungen, Berichten, Stellungnahmen sowie Einschätzungen der produktionslenkenden Organe.[954]
„Mosaik" war als Bestandteil der DDR-Kinder- und Jugendliteratur wie erwähnt seinem Wesen nach „Enkulturations- und Sozialisationsliteratur"[955], die im Subsystem der Kinder- und Jugendzeitschriften - auch unabhängig von und entgegen der persönlichen Überzeugung der einzelnen Künstler wie Hegen oder Dräger - „identitätsstiftend, kollektivbildend und gesellschaftslegitimierend"[956] wirksam zu werden vermochte.
Auch „die gültigen Makrokonventionen bis hin zur Textebene (Stoffe, Themen, Darstellungsweisen)"[957] beim DDR-Comic müssen als Reflex auf die nur teilweise durchgesetzte gesellschaftliche Modernität verstanden werden.
Künstlerische Moderne wurde in der DDR noch Ende der siebziger Jahre als „Modernismus" wie folgt stigmatisiert:

  • „Sammelbegriff für eine Grundströmung der spätbürgerlichen Kunst und Literatur, die durch das Streben nach neuartigen Gestaltungsmitteln um jeden Preis charakterisiert wird. Nach den Auffassungen der spätbürgerlichen Kunsttheorie ist die Kunstentwicklung seit dem Ausgang des 19. Jh. vor allem dadurch gekennzeichnet, daß sie sich angeblich von dem Zwang >befreit< hat, Erscheinungen der Wirklichkeit darstellen zu müssen. Sie konzentrierte sich stattdessen auf die Eigengesetzlichkeit ihrer Mittel. Tatsächlich hat sich die herrschende Kunst im Imperialismus in einer Richtung entwickelt, die das humanistische, auf die Erkenntnis und die ästhetische Wertung der gesellschaftlichen Wirklichkeit gerichtete Wesen der Kunst ablehnt. Damit ist die Absage an die humanistische realistische Kunst verbunden. Die Aufgabe des Künstlers, in den realen Erscheinungen Bedeutsames aufzudecken und zu deuten, wird als ein nichtkünstlerisches Prinzip bezeichnet und für unlösbar erklärt. An die Stelle des humanistischen Erkenntnisgehaltes der Kunst tritt ein ausgeprägter Subjektivismus. Der M. erfaßt sowohl die >elitäre< Kunst des Imperialismus (u. a. verschiedene Formen des Abstraktionismus)) als auch die imperialistische Massenkultur. Die Anmaßung, daß der M. die Kunst des 20. Jh. überhaupt repräsentiere, versucht die spätbürgerliche Kunsttheorie zu stützen, indem sie die Tatsachen des Klassenkampfes in der Kunst völlig ignoriert und ihre objektiv gegebene Funktion in der Kultur der jeweiligen Gesellschaftsformation mißachtet."[958]

Gansel schreibt:

  • „Die in der DDR existierenden (vormodernen) Gesellschaftsstrukturen produzierten - wenn man sie denn verinnerlichte - erzählerisch-strukturell ein Festhalten an traditionellen Formen des Erzählens. Wo es scheinbar nach historischen Gesetzmäßigkeiten zuging, mochte Durchschaubarkeit und Überschaubarkeit garantiert sein. Entsprechend waren auktoriales Erzählen, chronologischer Handlungsablauf, Wiedererkennungseffekt, gesellschaftliche Gesamtschau, (sozialistische) Perspektivgestaltung nicht nur angeraten, sondern der selbstgewählte Weg von Autoren in der DDR bei der Bearbeitung des >Stoffes Wirklichkeit<."[959]

Diese Aussage bedarf für „Mosaik" der Präzisierung und Erweiterung, jedoch nicht der Korrektur: Die entscheidenden Bild- und Textautoren des DDR-Comics brauchten gar keine vormodernen DDR-Strukturen zu verinnerlichen: Sie hatten prägende Jahre ihrer Sozialisation in der NS Gesellschaft verbracht, die auf technisch-ökonomischem Gebiet einen ungeheuren Modernisierungsschub bedeutete, der kulturellen Moderne allerdings feindlich gegenüberstand.[960]

[935] Carsten Gansel 1997, S. 177

[936] Reiner Wild, Aspekte gesellschaftlicher Modernisierung. In: Reiner Wild (Hg.), Gesellschaftliche Modernisierung und Kinder- und Jugendliteratur. St. Ingbert 1997, S. 12

[937] Es ist darauf hinzuweisen, daß ich aus eben dem gleichen Grunde, aus dem Wild im Kontext seines Aufsatzes von Modernisierung spricht - nämlich begriffliche Genauigkeit als notwendige Bedingung von Wissenschaftlichkeit (Wild, S. 13) - im Zusammenhang meiner Darlegungen im folgenden stets den Begriff Moderne gebrauchen werde.

[938] Vgl. Wild, S. 24

[939] Vgl. zB. MVHH Nr. 29 (1959) Auf dem Neos verschollen

[940] Carsten Gansel 1997, S. 179

[941] Ebenda

[942] Einer der eigenwilligsten Künstler des „Mosaik" mit nach Aussagen Drägers Sympathien für die Moderne, Nikolai Dimitriadis, verließ noch kurz vor dem Mauerbau 1961 die DDR. Die von ihm umgesetzten Figuren sind in der Rom-Serie als von seinen Kollegen Knetemännchen bezeichnete Figuren erkennbar.

[943] Knigge 1996, S. 258

[944] Lexikon der Kunst. Malerei. Architektur. Bildhauerkunst. Achter Band. Erlangen 1994, S.191

[945] Achim Preiß, Offiziell/Inoffiziell - Die Kunst der DDR. In: Rolf Bothe; Thomas Föhl (Hg.), Aufstieg und Fall der Moderne. Ostfildem-Ruit 1999, S. 470

[946] Sieht man nach 1975 veranstaltete Preisausschreiben als öffentlichen Akt außerhalb des Textes an, so finden sich diese in mosaik Nr. 6/1976 (Besuch beim Pascha), mosaik 6/1977 (Nach Venedig!) und mosaik 12/1985 (König Alexander).

[947] Das heißt nicht, daß der Comic in den Medien gar nicht präsent war. Er wurde lediglich in der Berichterstattung fast völlig ignoriert. Dafür nahm die Suche nach alten Heften einen nicht unbeträchtlichen Teil der Annoncenseiten der begehrten Zeitschrift „Wochenpost", deren ursprüngliches Titellogo zudem 1953 von Hannes Hegen geschaffen wurde, ein (vgl. dazu: Klaus Polkehn, Das war die Wochenpost: Geschichte und Geschichten einer Zeitung. Berlin 1997, S. 18, 188, 262). In der „Wochenpost" erschien 1984 auch ein ganzseitiger Artikel zum DDR-Comic (vgl. Ingrid Pfeiffer, Abrax, Brabax, Califax. Ein Mosaik vom „Mosaik". Wochenpost 33/1984, S. 18).

[948] Gansel 1997, S. 179

[949] Gansel 1997,S. 181

[950] Ebenda

[951] Ebenda

[952] Vgl. Lettkemann 1990, S. 103

[953] Gansel 1997, S. 182

[954] Vgl. z.B. Wolfgang Altenburger: Konzeption Mosaik. 29.6.1965 BArch DY 25 2044

[955] Gansel 1997, S. 182

[956] Gansel 1997, S. 181

[957] Gansel 1997, S. 181

[958] Kleines politisches Wörterbuch. Berlin (0.) 1978, S. 590

[959] Gansel 1997, S. 182

[960] Vgl. zu diesem Phänomen u.a. Kaspar Maase, Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850-1970. Frankfurt /M.1997, bes. 196-235

[961] Gansel 1997, S. 186

[962] Garbe 1997, S.18