Auszüge aus veröffentlichter Sekundärliteratur zum Mosaik von Hannes Hegen . Diese Zitate sollen die Diskussion der Heftbesprechungen im Digedags-Forum unterstützen. Der Text wurde Printmedien entnommen, Flüchtigkeits- und Übertragungsfehler bitte ich unkommentiert zu entschuldigen. Hier geht es zur Hauptseite: www.mosafilm.de
Zitat aus: Thomas Kramer, Micky, Marx und Manitu, S. 333-337, Weidler Buchverlag Berlin, 2002


"Mosaik" vs. ästhetische Moderne in Text und Bild - zwischen persönlicher Antipathie und Auflagen der Produktionslenkung
Bild von Kunst und Künstlerbilder im "Mosaik"


Die persönliche Einstellung der „Mosaik"-Schöpfer zur Moderne wird besonders in der Neos-Serie an der Person des McGips deutlich. Wie bereits erwähnt, war die Neos-Serie den Künstlern, die sich immer mehr mit der Rom-Serie identifiziert hatten, aus politischen Gründen aufgezwungen worden. Trotz strenger Vorgaben und stärkerer Aufmerksamkeit der produktionslenkenden Organe gelang es dem „Mosaik"-Kollektiv, sich des für eine Comic-Handlung unsagbar langweiligen Stoffes der Umsetzung planwirtschaftspolitischer Zielvorgaben, auf hohem handwerklichen Niveau mit Witz, Ironie und mitunter sogar unterschwelliger Kritik an zeitgenössischen Zuständen zu entledigen. Es gab wohl nicht viele Dinge, in denen gerade Hegen und Dräger mit politischen Vorstellungen im SED-Staat übereinstimmten; mit offiziellen Verlautbarungen der Kulturobrigkeit zur Minderwertigkeit der künstlerischen Moderne scheinen sie - wenn auch subjektiv uneingestanden - allerdings weitestgehend konform gegangen zu sein.
Wie bei anderen Comicfiguren - und im Falle „Mosaik" auch in übereinstimmender Reflexion von Ansichten ihrer Schöpfer - funktionieren „affirmative Formen der Rezeption von Kunst [...] vor allem nach dem klassischen Qualitätskriterium der Lebensechtheit (am liebsten natürlich >gut gemalt< - Kunst kommt bekanntlich von Können). Welt soll (muß) nach diesem Verständnis im künstlerischen Abbild bestmöglich wiedererkennbar sein, sonst, so die landläufige Geschmacksmeinung, taugt das Kunstwerk nicht viel. Lebensechtheit wird gefordert, wo sie nicht vorhanden ist (>Das soll ein [...] sein?<), oder sie fördert anerkennendes Staunen, wo etwas tatsächlich >wie im richtigen Leben< abgebildet erscheint. Angesichts der Moderne verstärkt sich die ablehnende Haltung der Kunst gegenüber, die sich als sogenannte >Doxa< nach dem französischen Kultursoziologen Bourdieu aus den alltäglichen Denk-, Wahrnehmungs- und Beurteilungsschemata zusammensetzt. Eine Konfrontation mit abstrakter Kunst ist daher vorauszusehen. Wer von einem solchen Bild eine Botschaft erwartet, die dieses gar nicht mehr vermitteln will, wird enttäuscht und reagiert gegebenenfalls mit einer Ablehnung, die von schlichter Ignoranz geprägt sein kann. Der Unverstand (gegenüber dem künstlerischen Eigensinn) äußert sich aber oft in Angriffen auf die unverständliche Kunst, etwa verbalen Ressentiments, die sich zuweilen bis zum brachialen Aggressionsverhalten steigern können."[973]
McGips, Oberspion und Koordinator der Agententätigkeit, sitzt im Aprilheft 1959 direkt in der Hauptstadt der Republikanischen Union, wo er sich als Bildhauer tarnt.[974]
Den Anforderungen des 'Bitterfelder Weges', so genannt nach den kulturpolitischen Beschlüssen der 'l. Bitterfelder Konferenz', die just im Erscheinungsmonat gerade dieses Heftes, im April 1959 stattfand, entsprechen die abstrakten Skulpturen seines Ateliers natürlich nicht. Die Namen der Kunstwerke wie Denkender, Verzückte Seele oder Einsamer entlarven zudem bürgerlich-dekadentes existentialistisch-individualistisches Gedankengut ihres Schöpfers.[975] Die Digedags werden sogar an diese Skulpturen gefesselt, die sinnigerweise so aussehen, „als wären sie eigens dazu geschaffen, um jemand daran anzubinden".[976] 1958 tauchte eine Skulptur, die der, an die Dig gefesselt ist, täuschend ähnelt, in einem Werbefilm mit dem HB-Männchen auf![977] Der Comic macht im April 1959 deutlich, was sich hinter solcher Kunst jenseits der Anforderungen des sozialistischen Realismus verbirgt. „Ein Funkgerät versteckt in einer Gipsfigur! Dieser MacGips war doch ein schlauer Halunke. Jeder glaubte, er wäre verrückt, in Wirklichkeit aber war er ein gerissener Agent des großneonischen Reiches".[978] Auch auf die brachiale Zerstörungsorgie wird nicht verzichtet: Die Figuren werden zerschlagen.[979] Ebendiesen McGips stattet man mit den üblichen Merkmalen des potentiellen West-'Dreigroschenjungen' aus: Schmalzlocke, Kreppsohlen, am Saum umgeschlagene Röhrenjeans und knallbunte Krawatte. Er und seine Unterhelden huldigen, im Unterschied zu den abstinenten Digedags, zügellosem Alkohol- und Nikotinkonsum - was im „Mosaik" Genuß von einem Bier und einer Zigarette bedeutet.
Alle Vorurteile gegenüber modernen Künstlern aus dem Repertoire muffiger Kleinbürgerphantasien der Schublade „verkommenes Genie" werden bedient. Es läßt sich auch sehr leicht ein Vorbild für den Künstler ausmachen: Seit 1950 wirkte der Bildhauer Bernhard Heiliger an der Westberliner Hochschule für Bildende Künste. Seine modernen Skulpturen ähneln den im „Mosaik" abgebildeten und wurden öffentlich diskutiert. Im Bertelsmann-Jugendjahrbuch „Überall dabei" für 1960, was bereits 1959, also im Jahr des Künstler-„Portraits" im DDR-Comic, erschien, wird der 12 Jahre vor Dräger nahe dessen Heimatdorf Schwennenz, nämlich in Stettin, geborene Bildhauer Bernhard Heiliger den Lesern vorgestellt. Auch der Autor dieses Beitrages kennt die Vorbehalte gegen moderne Kunst. Auffälligerweise argumentiert er zu deren Überwindung ähnlich wie schon Gustav Pauli bei der Verteidigung des Werkes von Franz Marc 1921.[950] So wird auch Heiliger „als angenehmer Mensch dargestellt".[981] Besonders das „nicht anders sein" im Privaten, symphatisches Äußeres und Umgangsformen werden hervorgehoben: „Es könnte sich um einen weitgereisten weltgewandten Mann handeln, vielleicht um einen Kaufmann mit einem Gefühl für Schick".[982] Das entspricht der sozialen Umwelt der Leser, weltgewandte Erfolgsmenschen sind ihnen aus Zeitungen und Illustrierten der Wirtschaftswundergesellschaft wohlvertraut. Dann wird an die Begeisterung des zumeist männlichen jugendlichen Lesers für Autos appelliert:
  • „Er hat sich gerade das neueste Modell eines Sportwagens gekauft, einen hellblauen englischen >Jaguar<, den er offensichtlich auch mit großer Freude an dem Temperament des Wagens und am Gedröhn des Motors fährt."[983]

Das weist auch auf die Parallele zum „Mosaik"-Spion und Bildhauer in Personalunion hin, der mit ebenso großer Begeisterung in schnittigen Limousinen über Neos-Straßen rast.[984]
Anschließend wird von dem Autor des westdeutschen Beitrages die harmlose Bürgerlichkeit des Künstlers und seines Werkes betont:

  • „Keine seiner Arbeiten wirkt schockierend oder unharmonisch, auch ihr Schöpfer ist ja nicht der Typ eines Revolutionärs, der die Kunst auf den Kopf stellen will. Als erstes betont er vielmehr, daß er keine Sensationen zu bieten habe und auch gar nicht auf der Suche nach dem >letzten Schrei< der Mode sei."[985]

Gerade das wird im „Mosaik" entgegengesetzt interpretiert. Die Arbeit von McGips wird als „ulkig" und „verrückt" abqualifiziert; das versteckte Funkgerät dient ja gerade dazu, Bestehendes zu stürzen. Pauli stellt Marcs Entwicklung bis zum „frühen heldenhaften Tod"[986] vor, was Sympathien für den „Künstler als patriotische(n) Held(en)"[987] zu wecken vermochte. Nun entging Heiliger glücklicherweise dem „Heldentod" im zweiten Weltkrieg, schafft aber auch für Deutschland:

  • „Er erhielt nicht nur viele Preise, sondern ist bereits mit Arbeiten in großen internationalen Museen vertreten und schuf zuletzt für den Deutschen Pavillon auf der Brüsseler Weltausstellung eine monumentale Plastik."[988] Wie in der Verteidigung Marcs 38 Jahre früher „folgt eine Erläuterung[...] der Ideen"[989]

Heiligers über die Kunst:

  • „Professor Heiliger erzählt fließend und mit einer Sicherheit von seiner Arbeit, die nur jemand besitzt, der genau weiß, was er will."[990]

Ebenso wie beim Eintreten für Marc heißt das also, „daß der Künstler etwas dabei gedacht hat, nicht spleenig oder verrückt ist."[991]
Auf den folgenden beiden Seiten des westdeutschen Jugendbuches werden die Qualitäten von Heiligers Werk hervorgehoben und „dem Betrachter eine Auswahl jener Ähnlichkeiten und Assoziatonsmöglichkeiten angeboten, die er zu seinem Zorn vor dem Bild vermißt hatte."[992] Wird den Jugendlichen in der westdeutschen Publikation der Künstler als harter Arbeiter vorgestellt, so unterstreicht „Mosaik" das asoziale Wesen des ohnehin kriminellen McGips: „Hier wohnt der Bildhauer, der diese ulkigen Gebilde knetet, die ihm niemand abkaufen will. Ich möchte bloß wissen, wovon der lebt."[993]
„Mosaik" gibt den Vorurteilen gegen die künstlerische Moderne, die der westdeutsche Autor versucht abzubauen, dagegen sogar noch Nahrung und wirbt dabei um Zustimmung des Lesers, dem doch nach ihrer Meinung ohnehin schon zu viel zugemutet wird.
Wie ein zeitgenössischer Maler nach Vorstellungen Hegens und Drägers auszusehen hat, zeigt sich an der Gestalt des Herrn Tuscher(!), der die Weltraumexpedition mit dem Raumschiff XR-8 begleitet: Baskenmütze und Pfeife, Bärtchen und Zeichenmappe unterm Arm![994]

[973] Cuno Affolter; Urs Hangartner, Die Bilderwelt als Kulturspiegel. Wie die Künste im Comic vor- und wegkommen. In: Andreas C. Knigge, Comic Jahrbuch 1991, S. 16

[974] MVHH Nr. 29 (1959) Auf dem Neos verschollen, S. 21

[975] MVHH Nr. 29, S. 21 Vgl. dazu Kramer 1993, S. 34f., Lettkemann 1994, S. 94f.

[976] MVHH Nr. 29, S. 21

[977] Vgl. 29, MVHH Nr. 29, S.21, mittleres Panel. Nur einmal versteckt sich moderne Kunst als Gemälde im „Mosaik": Ausgerechnet in der Raumstation der „Guten" erkennt man im März 1959 im Hintergrund ein Gemälde im Stil der Abstraction-Creation (vgl. MVHH Nr.28 [1959] Alarm in der Raumstation, S.18). Ob es sich hier um einen unbemerkten Akt der Subversion oder einen Anschlußfehler eines Zeichners - die Handlung spielt noch zwei Seiten früher auf einer feindlichen Basis - handelt, muß ungeklärt bleiben.

[978] MVHH Nr. 29, S. 23

[979] Vgl. MVHH Nr. 29, S. 22

[980] Gustav Pauli, Franz Marc. Der Mandrill. (Kunsthalle Hamburg, Kleine Führer Nr. 20), Hamburg 1921. So zitiert in: Oskar Bätschmann, Einführung in die kunstgeschichtliche Hermeneutik. Darmstadt 1992, S. 14

[981] Bätschmann, S.14

[982] Dieter Struß, Der Bildhauer (Bernd Heiliger) In: überall dabei. Das große Jahrbuch. Gütersloh 1960, S. 97

[983[ Struß, S.97. Dem Leser war vielleicht errinnerlich, das auch Heftchenheld Jerry Cotton einen roten Jaguar fuhr.

[984] Vgl. MVHH Nr. 40 (1960) Tatort Papageienstrasse 12

[985] Struß, S. 97

[986] So zitiert in Bätschmann, S. 14

[987] So zitiert in Bätschmann, S. 14

[988] Struß, S. 97

[989] Bätschmann, S. 14f.

[990] Struß, S. 97

[991] Bätschmann, S. 15

[992] Bätschmann, S. 15 #

[993] MVHH Nr. 29, S. 21

[994] Vgl. besonders MVHH Nr. 56 (1961) Schreibtisch ahoi!